Weihnachtsmärchen
Franz von Pocci
In einem Häuschen am Eingang eines Waldes lebte ein armer Tagelöhner,
der sich mit Holzhauen mühsam sein Brot verdiente. Er hatte eine Frau und
zwei Kinder, ein Knäblein und ein Mägdlein. Das Knäblein
hieß Valentin und das Mädchen Marie, und sie waren gehorsam und
fromm zu der Eltern Freude und halfen ihnen fleißig bei der Arbeit. Als
die guten Leute eines Winterabends, da es draußen schneite und wehte,
zusammen saßen, da pochte es leise an das Fenster, und ein feines
Stimmchen rief draußen: "O lasst mich ein in euer Haus! Ich bin ein
armes Kind und habe nichts zu essen und kein Obdach und meine, schier vor
Hunger und Frost umzukommen. O lasst mich ein!"
Da sprangen Valentin und Mariechen vom Tisch auf, öffneten die Türe
und sagten: "Komm herein, armes Kind, wir haben selber nicht viel, aber
doch immer mehr als du, und was wir haben, das wollen wir gern mit dir
teilen." Das fremde Kind trat ein und erwärmte sich am Ofen die
erstarrten Glieder, und die Kinder gaben ihm zu essen, was sie hatten, und
sagten: "du wirst wohl müde sein. Komm, leg dich in unser Bettchen,
wir wollen auf der Bank schlafen."
Da sagte das fremde Kind: "Dank es euch mein Vater im Himmel." Sie
führten den kleinen Gast in ihr Kämmerlein, legten ihn zu Bett,
deckten ihn zu und dachten sich: "O wie gut haben wir es doch! Wir haben
unsere warme Stube und unser Bettchen; das arme Kind aber hat gar nichts als
den Himmel zum Dach und die Erde zum Lager." Als nun die Eltern zur Ruhe
gingen, legten sich Valentin und Marie auf die Bank beim Ofen und sagten
zueinander. "Das fremde Kind wird sich nun freuen, dass es warm liegt.
Gute Nacht!"
Die Kinder aber hatten kaum einige Stunden geschlafen, da erwachte die kleine
Marie und weckte leise ihren Bruder und sagte: "Valentin, wach auf, wach
auf! Hör doch mal die schöne Musik vor unserem Fenster!" Da rieb
sich Valentin die Augen und lauschte. Es war ein wunderbares Klingen und
Singen, das sich vor dem Hause vernehmen ließ. Und ganz deutlich
hörten sie die Worte:
Oh heil'ges Kind wir grüßen dich
mit Harfenklang
und Lobgesang.
Du liegst in Ruh, du heilig Kind;
wir halten Wacht
in dunkler Nacht.
O Heil dem Haus, in das du kehrst!
Es wird beglückt
und hoch entzückt!
Als die Kinder das hörten, befiel sie eine freudige Angst; sie traten ans
Fenster um zu schauen, was draußen geschähe. Da sahen sie im Osten
das Morgenrot glühen und vor dem Hause viele Kinder stehen, die goldene
Harfen in den Händen hatten und mit silbernen Kleidern angetan waren.
Erstaunt und verwundert ob dieser Erscheinung starrten sie zum Fenster hinaus.
Da berührte sie ein leiser Schlag, und als sie sich umwandten, sahen sie
das fremde Kind vor sich stehen. Das hatte ein Kleid an von funkelndem Gold und
auf dem Haupte eine Krone und sprach zu ihnen: "Ich bin das
Christkindlein, das in der Welt umherwandelt, um frommen Kindern Glück und
Freude zu bringen. Ihr habt mich beherbergt diese Nacht, indem ihr mich
für ein armes Kind hieltet, und ihr sollt nun meinen Segen haben." -
Da ging es mit den Kindern hinaus, brach ein Reislein von einem Tannenbaum, der
am Hause stand, pflanzte es in den Boden und sprach: "Das Reislein soll
zum Baume werden und soll euch alljährlich Früchte bringen." Und
alsbald verschwand es mit den engeln. Das Tannenreis aber schoss empor und ward
zum Weihnachtsbaum; der aber war behangen mit goldenen Äpfeln und
Silbernüssen und blühte alle Jahre einmal.
Franz von Pocci, 1807 -
1876 |
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