Danke liebes Christkind
Dora Schlatter
"Ach, Mamali, wenn doch das Christkindli bald käme! Und wenn es mir
doch brächte, was ich mir so sehr wünsche! Glaubst du, dass es mir's
bringt?" so fragte die kleine Jolanda ihr Mütterlein, während es
war gebettete in ihrem Schoß saß, das rosige Gesichtchen mit den
großen dunklen Augen von den lockigen braunen Haaren umrahmt schaute
sehnsuchtsvoll bittend zur Mama empor. "Ja, was wünscht du dir denn
so sehnlich mein Liebling," fragte diese und strich mit der Hand über
das weiche Haar.
"O siehst du, Mamali, die süße wunderschöne Puppe mit
blondem Haar und großen, blauen Augen; aber ich weiß, sie kann sie
schließlich und wieder aufmachen. Ich sah sie gestern, als ich mit
Käthe an der Warenhalle vorbeiging auf dem Marktplatz. Du glaubst nicht,
Mama, wie schön sie ist, die schönste Puppe, die ich je sah!"
"Wir müssen nun eben sehen, was das Christkind bringt. Vielleicht
bringt es die Puppe nicht. Vielleicht bringt es etwas anderes."
"Aber ich möchte nichts anderes," sagte Jolanda und das
München verzog sich weinerlich, und um die Augen zogen sich Schatten von
einem festen sich regenden Eigenwillen. "Ich möchte diese Puppe haben
und sonst nichts anderes. O Mama, mach doch, dass das Christkind mir das
bringt!"
"Liebling, Kind, man kann nur wünschen beim Christkind; man darf nur
leise anbefehlen und nicht bestellen, und dann muss man's ihm still
überlassen und denken: Das Christkind weiß ganz gut, was schön
ist für mich und bringt nur Liebes und gutes mit. Wenn man so das
Christkind erwartet, dann ist man glücklich!"
So tröstete die Mutter, und Jolandas Gesicht verlor den dunklen Schatten
und bald hüpfte die kleine Gestalt ans Fenster und jubelte und rief:
"Oh sieh doch Mamalie, die vielen weißen Sommervöglein, die
fliegen sie fliegen so schnell, schnell!" Sie streckte die runden
Händchen aus, als wollt sie sie fangen.
Und das Christkind kam, mit seinem stillen, geheimen Vorbereiten, mit seiner
Hoffnungsfreude und seinem Lichterglanz. Jolanda war das einzige Kindlein
liebender Eltern, und was Elternliebe und Großelternzärtlichkeit
ersinnen und erdenken konnte, das sollte den Weihnachtsbaum der kleinen
schmücken und froh machen.
Die Herzen der Alten wollen sich sonnen am Kinderjubel und warm und
glücklich dabei werden.
Jolanda stürzte mit hellem Jauchzen in den lichterfüllten Raum, der
so manche Stunde geheimnisvoll vor ihr geschlossen worden war. Wie herrlich
strahlte der Baum im Glanz der hohen Kerzchen, die sich in leuchtenden Kugeln
spiegelten und in Schimmer und Gold verdoppelten. Ein kleiner Schemel stand vor
dem Baum und darauf hin setzte sich Jolanda und rückte ihn so nah als
möglich dazu, um mit ihren großen Augen freudetrunken empor zu
schauen ins Licht, selbst ein Lichtlein. Und das Lichtseelchen von oben flog
herunter zum Lichtseelchen dort unten und fröhlich begegneten sie sich in
Jolandas Auge. Christkind hatte keine Puppe gebracht, aber etwas anderes,
Wunderschönes. Liebende Hände hatten eine Puppenstube geschmückt
mit allen Zierraten, die sich malen, schnitzen, sticken und formen
ließen. Es war ein Zauberstübchen. Reizende Bauernstühlchen
umgaben den altertümlichen Holztisch. Ein Kanapee mit niedlichen
gestickten Kisslein zeigte eine Reihe von weiß gekleideten Kinderchen.
Die schöne Mama mit blauseidenem Kleid ruhte in einem Schaukelstuhl. an
einem kleinen Messingarm hing eine rote, schwanke Ampel und allerliebste
Bildchen zierten die Wände neben duftigen Fenstergardienen. Jolanda
schwamm in einem Meer von Entzücken. Ihre kleinen Fingerchen betasteten
all die Wunder menschlicher Geschicklichkeit.
Sie räumte aus und räumte ein und ließen die Kinderchen bald da
bald dort sitzen und fröhlich Kaffee trinken aus winzigen, winzigen
Tässchen. Es war ein großes, seliges Kinderglück, das sich
schaltend und gestaltend im neuen Stüblein entfaltete.
Die Lichtlein waren erloschen. Die Weihnachtsstube war still; nur der Duft
angerauchter Tannennadeln zog darüber hin wie der Nachklang der Freude.
Eine helle Lichtspalte zeigte, dass drüben im Nebenzimmer die großen
Leute noch beisammen saßen um den besetzten Tisch. Jolanda war nicht mehr
dabei. Jolanda war ins Bettlein gebracht worden vom sorglichen Mütterlein,
die die heißen Bäcklein und die glühenden Augen ängstlich
im Dunkel des Bettleins geborgen hatte. Da sollte der Liebling ausruhen von der
Freude; denn auch Freuen ist eine Arbeit für kleine zarte Herzchen. Aber
die Äuglein wollten sich nicht schließen, die Händchen nicht
ruhig werden. Immer tanzten helle, strahlende Lichter auf der Decke auf und ab
und zierliche weiße Püppchen hielten die Augenlider fest, dass sie
sich nicht schließen konnten und verjagten das Sandmännchen.
Als Mama eben den frohen Kreis mit einem duftenden Tee bedienen wollte,
hörte sie ein leises Rauschen im Christbaumsaal. Sie eilte hinüber,
von leiser Ahnung erfasst. Still blieb sie auf der Schwelle stehen, um das
Bildchen, das sich ihr bot, voll und ganz zu genießen. Da stand Jolanda
im weißen Nachtgewand mit bloßen Füßen. sie nahm ein
Püppchen nach dem andern in die Hand und küsste es zärtlich,
dann kam der Tisch und die Stühlchen, jedes bekam ein Küsslein.
Endlich faltete sie die runden Händchen und leise lispelten die Lippen:
"Liebes Christkind, ich danke dir!"
Da eilte die Mutter auf den Liebling zu, hüllte ihn lind und warm in ihre
Arme und trug ihn zurück in sein Bettchen. "Ich wollte nur der
Puppenstube gute Nacht sagen! Wie froh bin ich, dass das Christkind mir diese
gebracht !"
Da lag nun das Köpflein müde im Kissen, und während Mamas Hand
leise die kleinen, heißen Hände hielt, kam Sandmännchen
unvermerkt und lautlos und streute seine Schlummerkörnchen auf die
lichthellen Augen, und hinter den geschlossenen Lidern träumte Jolanda
weiter vom guten, segenspendenden Christkind.
Dora Schlatter, 1855 -
1915 |
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