Die Christbescherung des kleinen
Johannesli
Jeremias Gotthelf
Johannesli erwachte, während das Licht noch brannte; die Weihnachtsfreude
hatte ihn geweckt. - Die glücklichen Kinder, sie werden durch Freude und
freudiger Erwartungen aufgeweckt, das Alter durch Bangen und Kummer. Wer
erinnert sich nicht an die goldenen Tage, wo er nicht schlafen konnte, weil am
Morgen Bescherung war, eine kleine Reise bevorstand oder was Neues ins Leben
trat! Freilich war die Bescherung, welche Johannesli zu hoffen hatte, nicht
groß, nicht viele Kreuzer kostete sie; aber auf die Größe, auf
die Kostbarkeit kommt es nicht an, ob die Freude groß oder klein sei,
sondern auf das Gemüt, welche sie empfängt, sowenig als das so
genannte Glück bedingt wird durch so genannte große
Glücksgüter. Das wahre Glück welches das Wasser nicht nimmt, der
Hagel nicht verhagelt, hat einen andern Grund. "Klein Ding freut die
Kinder", sagt das Sprichwort. Wohl denen, welche in ihren Kindern den Sinn
bewahren, dass kleine Dinge sie freuen; wohl denen, welche in ihren Herzen den
Sinn bewahren, dass auch sie freut, was die Kinder freut; denn den Kindern
gehört das Himmelreich, und wenn wir nicht wie sie werden, so haben wir
nur ein Teil an der Welt, und die Welt ist eng, und der Sinn, der die Welt
liebt, ist unersättlich und findet kein Genügen, und wo kein
Genügen ist, da ist kein Glück, da ist keine Freude.
Was aber Johannesli für eine Freude hatte über seine Bescherung, so
wird sie wirklich selten gefunden auf Erden. Die Bescherung bestand aus acht
Nüssen, welche einen Kreuzer gekostet hatten, einem bezuckerten
Schäfchen, dessen Schwanz ein Pfeifchen war, es kostete zwei Kreuzer;
einen Pfefferkuchen für zwei Kreuzer, Summa Summarum fünf Kreuzer;
dabei lag noch ein Semmelring, so genannter Weihnachtsring, welchen die
Bäckerin der Großmutter geschenkt hatte. Das war eine unendliche
Freude, ein Glück über alle Worte, und auch die Großmutter nahm
teil an diesem unendlichen Glücke, während immerfort Tränen
über ihre Backen rieselten und sie denken musste: "Ach Gott, du armes
Bubi." -
Als der erste Rausch des Kleinen vorüber war, der graue Tag durch die
Fenster guckte, rief der Kleine: "Großmüetti, habe dir auch
was, rate mal!" Aber die Großmutter konnte nicht raten; da holte der
Kleine in großem Triumphe zwei Eier, welche in der Großmutter
Abwesenheit gelegt worden waren, und welche er versteckt hatte, um ihr auch
eine Freude zu bereiten. "Sieh, Großmüetti, sieh, zwei Eier und
wie schöne und wie große! Daraus machst du heute Eierbrot zum
Kaffee, und dann kannst den Leuten sagen, dass ich dir auch das
Weihnachtskindlein habe kommen heißen."
Ach, wie manches Kind bittet so innig: "Vater, lass mir doch das
Weihnachtskindlein kommen!" Und wie manches Kind dankt innig, dass ihm
dieser Wunsch erfüllt worden, und die Eltern freuen sich der Freude der
Kinder, und ihr Gewissen rühmet sie, dass sie den Kindern gute Eltern
sind, so viele Freuden ihnen bescheren. Aber Leute, klebt nicht am Zeichen,
treibt nichts Kindisches, gedenket an das, was das Zeichen bedeutet und an das
Himmelreich, welches vom wahren Weihnachtskindlein den Kindern beschert wurde
und welches Vater und Mutter ihren Kindern öffnen sollen, das wahre
Weihnachtsgärtlein, in dessen Mitte der Tannenbaum voll Lichter und ohne
Schlange. Das Weihnachtskindlein kommen heißen in Zuckergebäcken und
buntem Spielzeug und das wahre Weihnachtskindlein, das vom Himmel kam und zum
Himmel führt, verleugnen, den Kindern es verbergen, goldenen
Schäfchen bescheren und um das Lamm, welches der Welt Sünden trug,
sie betrügen heißt das nicht, denn Kindern Steine, Schlangen bieten,
Brot und Fische ihnen vorenthalten, mit Kindischem sie kindisch machen, die
Augen blenden für das Ewige, den Stamm verstümmeln, der zum Himmel
wachsen soll? Das Weihnachtskindlein kommen lassen und die Kindlein nicht
weihen in der heiligen Nacht dem ewigen Heiland, der um ihretwillen ein Kind
geworden, das heißt geblendet und kindisch geworden sein, die Augen
versengt haben an der Afterweisheit des Tages, wie die Mücken die
Flügel am Lichte versengen, dasselbe für die Sonne haltend, welche
sie geboren.
So war es aber bei Kathi, der Großmutter, wirklich nicht, sondern sie
musste dem Kinde erzählen vom rechten Weihnachtskindlein, das in Bethlehem
geboren worden in einem Stalle und gelegt ward in eine Krippe; und wie die
Engel des Himmels es den Hirten verkündet und die Hirten es angebetet
hätten, und die Engel gesungen in der Klarheit des Himmels das himmlische
Lied: "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den
Menschen ein Wohlgefallen." Wie dann die Weisen aus dem Morgenland
gekommen, der Melchior, der Balthasar und der Kaspar, mit Kamelen und Elefanten
und ganz schwarzen Mohren, und Gold, Weihrauch und Myrrhen gebracht und das
Kindlein auch angebetet hätten. Wie ihnen dann ein Engel im Traum
erschienen, vor Herodes sie gewarnt hätte, sie schnell in ihr Land geeilt,
und wie Joseph auch gewarnt worden durch einen Engel und schnell ein Eselein
gekauft hätte und mit der Mutter und dem Kinde geflohen sei ins
Ägypterland, wo früher die Kinder Israels als wie einem Diensthause
gewohnt hätten viele hundert Jahre lang. Und wie dann der grausame,
gewaltige König gekommen sei mit all seinen Soldaten und das Kindlein
gesucht, welches der neugeborne König der Juden sein sollte, und wie er,
da man es ihm nicht gezeigt, weil es nicht mehr da war, alle Kindlein habe
töten lassen in und um Bethlehem, und wie ihn darauf eine schreckliche
Krankheit elendiglich zu Tode gemartert, dieweil Gerechtigkeit im Himmel sei.
So erzählte die Großmutter, und Johannesli weinte fast vor Zorn und
Wehmut und meinte, wenn er dabei gewesen, so wäre es nicht so gegangen, er
hätte dem bösen König den Kopf abgeschlagen und den kleinen
Heiland zum König gemacht, dass er nicht nach Ägypten hätte
fliehen müssen und bös haben dort zimmern nachher. -
Jeremias Gotthelf, 1797 -
1854 |
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