Die heilige Weihnachtszeit
Peter Rosegger
Erster Teil
Wenn der Städter über Feiertage etwas Sicheres wissen will, so muss
er sich bei den Bauern anfragen. Der städtische Arbeiter genießt den
Feiertag, ohne viel darüber nachzugrübeln; der Bauer, der sonst nicht
gerade gewohnt ist, den Grund und Zweck der Dinge zu erfassen, will jedoch
wissen, warum er rastet, in die Kirche geht oder sich einen Rausch antrinkt. Er
hat seine Feiertagswissenschaft und seine Feiertagsstimmung.
Ich will von mir nicht reden, sagt man, wenn man von sich selbst zu reden
beginnt. Allein um das zu sagen: Ich war, so lange mich die Bauernfeiertage
noch etwas angingen, ein gar radikaler Patron. Mir waren der Kirchenkalender
und darin die einzelnen Feste chronologisch zu sehr verschoben. Ich wollte,
dass das kirchliche Jahr und das Sonnenjahr gleichen Schritt halten sollten,
wie sich's auch gehört, wenn Himmel und Heiland mit einander harmonieren
wollen. Da die Sonne nun aber einmal nicht nachgibt, so sollte die Kirche
nachgeben. Sie hätte, wie ich einmal gelesen, ihre größten
Feste ohnehin auf willkürliche Tage gesetzt. Und wenn am 22. Dezember, als
an dem Tage, da die so tief gesunkene Sonne ihre Umkehr hält, schon der
Advent nicht beginnen will, so hätte ich es mindestens gern gesehen, dass
am selben Datum der Christtag gewesen wäre. Daran hätte sich ohne
Einschub schicksam gereicht alle Feste, die sich auf die Kindheit Jesu
beziehen, als das Fest der Beschneidung, der Opferung, der Heiligen drei
Könige, der Unschuldigen Kinder u. s. w. so dass wir mit den
Weihnachtsfeiertagen bequem vor dem Fasching fertig geworden wären. Nach
derselben Fortsetzung aller weiteren Feste, mit denen man bis Ende Juni zu
Rande gekommen sein würde. Die zweite Hälfte des Jahres könnte
den Heiligenfesten gewidmet werden, und das durcheinander wäre einmal
nicht Not! - Und die Richtigschiebung der Zeit könnte auf die einfachste
Weise bewerkstelligt werden, wenn man vierzig Jahre lang den Schalttag aus dem
Spiele ließe. Durch das zehnmalige Wegfallen des Schalttages wäre
das bürgerliche Jahr um zehn Tage verrückt und fiele mit dem
Sonnenjahr zusammen. - Ich habe diese Reformpläne auch richtig einmal
meinem Beichtvater, dem guten alten Pfarrer Johann Plesch in Kathrein am
Hauenstein, vorgelegt; dieser meinte, wie er die Gelehrten und auch die
Katholische Kirche kenne, würden sie auf eine solche Änderung nicht
eingehen wollen. Es hätten die Franzosen einmal bei einer großen
Revolution mit Feuer und Schwert die Sonn - und Feiertage verlegt, wäre
doch aber schließlich die heilige Kirche mit ihrem alten Brauch Herr
geblieben. So sollte ich als einfältiger Bauernbub von solchen Sachen
hübsch still sein.
Sonach beschäftigte ich mich heute mit dem, wie es ist, und nicht mit dem,
wie es sein sollte.
Die Weihnachtszeit hebt - wie die Weltgeschichte überhaupt - mit Adam und
Eva an. Diese unsere lieben Eltern haben dem Kalender nach am 24. Dezember
ihren Namenstag. Daher könnten schlechte Christen die Weihnachtsgeschenke
auch so auslegen, als ob am Tage ihrer ersten Eltern, als am Erinnerungstage
ihres eigenen Entstehens, die Menschheit mit Liebesgaben sich selber
gratulierten. Weil ihr in der Tat zu gratulieren wäre, wenn sie sich
täglich so benähme, wie am Weihnachtsabende.
Die eigentliche Weihnachtsvorahnung beginnt mit dem "Nikolo" und
vollends mit der Thomasnacht, die Christnacht und die Silvesternacht sind die
Nächte der fragenden Jungfrauen. In der Thomasnacht werfen sie ihre Schuhe
nach der Kammertür; bleiben die Schuhe so liegen, dass die Spitzen in die
Kammer weisen, so kommt im nächsten Jahr ein Bräutigam; stehen die
Schuhspitzen gegen die Tür, so kann auch einer kommen, geht aber wieder
fort. In der Christnacht tragen die Jungfrauen vom Holzgelass einen Arm voll
Scheiter ins Haus; sind die Scheiter paarweise, heißt das: in gerader
Zahl, so wird im nächsten Jahr geheiratet. In der Neujahrsnacht endlich
soll beim Bleigießen ein Figürlein die Hoffnung bestätigen. Das
liebe Dirndl im Hochreithhofe! die Schuhe versprachen ihn, die Scheiter
versprachen ihn und das Blei ließ die günstige Auslegung zu. Er kam,
sie saß ihm auf und - blieb sitzen. Jetzt weiß man nicht, sind die
Männer nichts nutz, oder die Gebräuche!
Das heilige Schauern, das am Christabend durch die Welt geht, empfindet auch
der Bauer. Auch ihm wird warm. Ist's doch als ob an diesem Tage die
Naturgesetze andere geworden wären. Fast bangt man um das Gleichgewicht
der Welt, da so plötzlich alles Freude ist und überall die Charitas
herrscht.
Zum Glück ist der Tag bald vorüber, dem großen Feste ducken
sich St. Stefan und Johannes an; der erstere will als Erzmärtyrer an der
Weihnachtsfeier Anteil haben, der letztere beruft sich auf seine besondere
Freundschaft mit dem Heiland; der erstere macht sich bei den Bauern durch sein
Stefaniewasser wichtig, der letztere weiß sich mit dem Johanneswein
einzuschmeicheln - aber zu dem eigentlichen Weihnachtsgefolge gehört
keiner von beiden. Erst der Unschuldige - Kindertag ist wieder echt; er bringt
in den süßen Weihnachtsfrieden die schreckbare Kunde von dem
Kindermassenmord des Herodes. Das Volk feiert dieses Gedächtnis durch
Rutenstreiche, mit denen eins das Andere am Morgen des achtundzwanzigsten Tages
im Dezember unter den Worten: "Frisch und gesund!" aus dem Bette
peitscht.
Nach den unschuldigen Kindern kommt ein heiliger Thomas, geborener Londoner,
ein Bischof zu Kandelberg, der sich so wacker und unbiegsam den Staatsgesetzen
seines Vaterlandes widersetzt hatte, das ihn die Kirche heilig gesprochen.
Unsere Bauern nenne den Mann "Thoma Windfeier" und sagen, wenn sie an
diesem Tage nicht arbeiten, so werden sie im kommenden Jahre von kalten Winden
und Stürmen verschont bleiben. Sie machen daraus den fünften
Weihnachtsfeiertag.
Als sechster folgt einer aus dem alten Testament - ein berühmter Poet und
Saitenspieler - der liebenswürdige König David. Der alte Herr hat in
der Tat auch ein Recht, Weihnachtsbesuch zu machen bei dem Kinde, das ja seinem
- dem Geschlechte Davids entstammt.
Heiligen - Legenden und antisemitische Kalender ignorieren den Alten und
protegieren an diesem Tage die heilige Witwe Melania. Von dieser Witwe steht's
in der Hauspostille des Bauers gar schon zu lesen: sie war eine reiche
Römerin, aus Liebe zu Gott etwas störrig gegen ihren Mann, bis sie
dann beide ins Kloster gingen, wo der Gatte bald starb, Melania sich jedoch den
göttlichen Wissenschaften hingab und mit großer Beredsamkeit der
Frauen gegen die Irrlehren kämpfte. Vor so einer muss der jüdische
Harfenist freilich zurück stehen.
Endlich ist Silvester da. Dieser Mann war bekanntlich römischer Papst; er
hatte stark mit den Juden zu kämpfen. Ich erinnere mich an ein
Geschichtlein. Eines Tages brachten die Juden einen wilden Ochsen zu ihm und
sagten: der Name ihres Gottes sei so groß und schrecklich, dass, wenn sie
selben dem Ochsen ins Ohr sagten das Tier auf der Stelle tot zusammen
stürzen müsse. Der Papst ließ es auf eine Probe ankommen, und
in der Tat, der Ochse fiel bei der Nennung des Judengottes um und war tot. Nun
sagte der Papst Silvester: "Wenn der Name eures Gottes so schrecklich ist,
ein Tier zu töten, so ist der Name des meinen so mächtig, es wieder
zum Leben zu erwecken." Er rief das Wort aus - und das Tier wurde wieder
lebendig.
Indes hat Silvester seine große Berühmtheit weniger dieser
Auferweckung zu danken, als dem Umstand, dass er der Schlusswart des Jahres
geworden ist. Das ist aber beziehungsweise seit kurzer Zeit; erst im Jahre
1583, also vor dreihundert Jahren, hat der gregorianische Kalender im
katholischen Deutschland Eingang gefunden, wonach Silvester als
Torschließer angestellt wurde und als solcher mancherlei Gratifikation
bezieht.
Das Neujahrsfest ist der achte in der Reihe der Weihnachtsfeiertage. an diesem
Tage schiebt der Bauer seinem Vaterunser folgenden Satz an: "Wölln
Gott bittn um a glückseliges neus Jahr; und dass er's verflossni Johr
glückseli g'schenkt hot, donksogn!" Der Kracher Martin auf der
Niederlenthen ist so gottergeben zufrieden, dass er als ihm in einem Jahr ein
reicher Oheim, zwei Weiber und eine Schwiegermutter starben, in dem Satz des
darauf folgenden Neujahrsgebetes: "s verflossni Johr glückseli
g'schenkt hot, donksogn' nicht eine Silbe änderte.
Nun kommen vier Werktage, die aber, weil sie noch in der Weihnachtszeit liegen,
eine gewisse Ausnahmestellung genießen; es soll in denselben weder
gedroschen noch gesponnen werden. Der Abend des 5. Jänner gebärdet
sich als ob mit ihm das hohe Fest von neuem beginnen wollte. Wie am Christ -
und am Silvesterabend, so geht der Bauer mit dem Weihrauchgefäß und
dem Sprengwedel durch Haus und Hof; nur der Unterschied, dass er diesmal mit
der Kreide an jede Tür und jedes Tor drei Kreuze zeichnet, und auf die
Türstirne seiner Stube oder den Trambaum folgende Zeichen malt: C + M + B
+. Mancher, der's leider selber nicht kann, entlehnt sich irgendwo einen
Schriftgelehrten, der ihm die "heiligen drei Könige"
aufschreibt.
Mich ließ einst für diese Geschäft unsere Nachbarin, die alte
Riegelbergerin, holen; nun war im Hause ein Stück Kreide von der
Größe einer Erbse, so dass ich es kaum zwischen den Fingern zu
halten vermochte. Das C und das M gelangen mit Mühe, dann sprang das
weiße Körnchen plötzlich ab, verkollerte sich auf dem Fletz und
war nicht mehr zu finden. Was jetzt? Ich zeichnete das B mit einem Stück
Holzkohle. die Riegelbergerin erschrak, denn gerade als Schutz gegen den
"Schwarzen" hatte sie sich die heiligen Zeichen machen lassen. fragte
ich denn ob sie diese Sache je mit besserem Schick und Sinn ausgeführt
gesehen? Ob sie nie etwas davon gehört, von den heiligen drei Königen
der eine der Balthasar, ein Mohr gewesen?
Der Ausspruch hat mir ein Stück Kletzenbrot eingetragen; was weiter war,
weiß ich nicht mehr.
Wenn ihr brave Kinder wäret meine lieben Leser, ich würde euch viel
Anmutiges erzählen von den heiligen drei Königen. Es sollen, sagt
eine Auslegung, nicht sowohl Könige als Weise gewesen sein, aber man hat
erwogen, dass man vor dem Volke mit goldschimmernden Königen mehr Ehre
einlegt, als mit Weisen. Der Prophet Balaam hatte einst gesagt: Es wird aus dem
Reiche Jakobs ein Stern aufgehen, und der wird einen mächtigen König
bedeuten über Juden und Heiden. Hierauf stellten die Heiden Wächter
auf einen Berg, den Stern zu erspähen, und diese wachten anderthalb
tausend Jahre. Aber in einer Nacht, da von der Wüste der warme Hauch
heranwehte und aus der Ferne das Meer rauschte, schliefen sie ein. Da ging der
Stern auf. Das kündeten sie den Ländern. Und hierauf machten sich
drei Könige auf den Weg, den Stern zu suchen. Es war nächtig und der
Stern zuckte vor ihnen über den Erdeboden dahin, und weil sie Weise waren,
so gingen sie dem neuen, unbekannten Lichte nach, Tage und Tage lang; es
gesellten sich ihnen auch andere Könige und Herren bei mit großem
Gefolge, bis sie in die Stadt Jerusalem kamen. In dieser Stadt sprachen sie
beim Herodes vor, fragend, wo der große König sei, auf den der Stern
deute? Der Judenkönig heehrte die Gäste mit Pomp und antwortete: der
große König sei er selber und einen andern kenne er nicht in diesem
Lande. Sie möchten aber suchen, fänden sie einen, der
größer wäre als er, so sollten sie es ihn wissen lassen, dann
sei er der erste, der sich neige. - Sie wanderten weiter. Der Stern glühte
über die Auen dahin und stand still über einem Dache, das eine
reisende Handwerksfamilie barg. Und ein Kindlein war da in der
größten Armut und Bedürfnislosigkeit, und hatte helle,
freundliche Augen. Die Könige, da sie müde waren und nicht mehr
hoffen konnten, den Gesuchten zu finden, legten ihre besten Gaben dem Kinde
hin. Aber die armen Leute sagten: "Wozu brauchen wir euer Gold, euren
Weihrauch, Eure Myrrhen? Die Erde ist unser Bett, der Himmel ist unser Hut.
Dieses Kind, welches so hablos ist, dass wir es auf das Heu des Rindes legen
mussten, ist nicht gekommen zu empfangen, es ist gekommen zu geben."
Da flüsterten die Könige zueinander: "Wir haben ihn gefunden.
Lasst es uns eilig dem Herrn Bruder melden!" Einer von ihnen, der schwarz
an Farbe war gab die Meinung ab, Herodes scheine nicht dazu angetan, sich in
seinem Lande vor einem andern zu beugen. Es würde klug sein, ihm das Kind
nicht zu verraten. Sie kehrten auf anderem Wege in ihre Länder
zurück. - Herodes hatte trotzdem erfahren, dass sich unter den kleinen
Kindern zu Bethlehem eines befinde, das nach der Weissagung der Juden
größter König werden würde, und da es ihm nicht gelang,
dasselbe herauszufinden, so ließ er in und um Bethlehem alle Knaben
ermorden. -
Schlaft ihr? Oder weint ihr? Oder belächelt ihr den Erzähler? Ach,
ihr habt die Botschaft schon allzu oft und in allzu absichtlicher Weise
gehört, um die göttliche Lieblichkeit und wilde Größe, die
darinnen liegt, noch zu empfinden! Von den drei wirklichen Weihnachtsfesten -
der Geburt, der Beschneidung und der Erscheinung der Könige - birgt das
letztere den grandiosesten Inhalt, die unbegreiflichsten Wunder. Warum kamen
die mächtigsten Herren und knieten vor dem armen Kinde? Weil sie Weise
waren. als ob sie wussten, dass sich im Wohlleben und Prunk kein Gottmensch
entwickeln kann, dass die Armut und die Einsamkeit und die Verlassenheit, und
alles Liebe und alles Leid des Volkes, dazu gehört einen groß
angelegten Menschen zu einem Heros und Erlöser zu machen.
Wenn ich wieder einmal auf der Tenne stehen sollte und den Korngaben predigen,
wie einst als zehn - bis vierzehnjähriger Junge, da ich den
Strohköpfen die Weihnachtspredigten hielt, bis mir unser Knecht Markus
einmal im Vertrauen mitteilte, ich sei der schönste Pfaff für die
Hauskapelle in einem Narrenturm - wenn ich wieder einmal so vor
Strohköpfen predigen sollte (kein Mensch kann's wissen, was ihm
bevorsteht) ich wollte die Geschichte von den drei heiligen Königen und
ihrem Stern so verwegen ausspinnen, wie ich es an dieser Stelle nicht tun darf.
Am zweiten Tage nach Heiligen-Drei-König ist das Gedächtnis des
heiligen Erhard, der im steirischen "Mannelkalender" mit einem
Bischofsstabe und einer Holzaxt angedeutet steht.
Die Legende erzählt, dass die Holzaxt das Marterwerkzeug wäre, mit
welchem der heilige Bischof getötet worden sei; aber der Bauer weiß
es, dass Sankt Erhard die Axt hat, um damit endlich die Weihnachtsfeiertage
abzuhacken, nachdem solche mit leichten Unterbrechungen zwei volle Wochen
gedauert haben. Andere Auslegungen sind, dass Erhard mit der Axt die
eingeeisten Mühlräder enteisen und dann in den Wald Brennholz hacken
gehen will.
Und so ist Werktagzeit geworden. In der Kirche klingt die Weihnachtsstimmung
noch bis Maria Lichtmess fort. Hier außen tobt der Karneval; wer nicht
arbeitet und nicht betet, der mag tanzen, der Erdeboden ins eingeölt, der
Himmel drückt ein Auge zu.
Und mich wollen jetzt, da ich diese Betrachtung beschließe, die Prosanen
haben und die Frommen. Beide, um mich zu verbrennen. Ich entschlüpfe den
geringen Krallen wie ein Schmetterling. Ich liebe die Blumen. Und die holde,
die selige Weihnachtszeit mit ihren heiligen Mythen ist eine Blume mitten im
Winter des Jahres und des Lebens - eine Blume, die an meinem Busen blühen
möge, wenn ich freie und wenn ich sterbe. Oder weiß einer von Euch
Frommen und Prosanen im Himmel und auf Erden schöneres zu denken, als eine
junge keusche Mutter mit dem Kinde? Als ein Kind, das mit dem Fleisch
gewordenen Wort: "Tue Gutes denen, die dich hassen; liebe deinen
Nächsten wie dich selbst" die Welt erlösen will?
Zweiter Teil
Über der Waldlandschaft liegt eine starre, blasse Winternacht. Am Himmel
steht der Mond, aber der Schnee auf den Fichtenbäumen flimmert nicht, denn
der Mond und die Sterne sind durch eine matte Wolkenschicht verdeckt. In
solcher Dämmerung sind die Höhenrücken und die Täler und
Schluchten nur unbestimmt zu sehen, hier ragen die schwarzen Zacken der
Bäume schärfer auf, weiterhin verschwimmen die Umrisse der Berge und
Bäume teils in Frohlust, teils im Schleier eines sachte beginnenden
Schneiens.
Durch diese Nacht zittert ein Klingen. Es kommt von allen Seiten her, es ist,
als ob die Schneeflocken in der Luft klängen. Es steigt von den
Tälern herauf, wo Dörfer und Kirchen stehen, es sind die Glocken der
heiligen Weihnacht.
Welch eine wunderbare Erscheinung an diesem Tage! Wenn eines Tages am Himmel
zwei Sonnen stehen, so ist das Wunder nicht größer, als jenes, das
sich am Weihnachtsfeste vollzieht. Das ist ein Tag, an welchem von all den
eigennützigen Menschen keiner an sich, jeder an andere denkt. Einer den
andern mit Freuden zu überraschen, mit Gaben zu überhäufen, das
ist das Ziel dieses Tages. Es ist kalter Winter, aber keinen friert, denn die
Kerzen sind warm. Es gibt heimliche Arbeit Tag und Nacht, keiner ermüdet,
keinen hungert, die Liebe zum Mitmenschen stärkt und sättigt alle. Es
ist, als ob die Naturgesetze andere wären, und fast bangt man um das
Gleichgewicht der Welt, da so plötzlich alles in Freude ist, da so
plötzlich die Allgewalt der Charitas herrscht. Wenn ich am Morgen des
Weihnachtsabends erwache und mein Auge auf den Christbaum fällt, der in
Erwartung der nahen Jubelstunde still auf dem weiß gedeckten Tische
steht, da werden mir die Augen feucht. O Weihnachtsfest, das du die Herzen der
Menschen erweckest und mit himmlischem Maienhauch die Erde zum Heiligtum
wandelst, sei gegrüßt! Sei gegrüßt, du göttliches,
du unbegreifliches Weihnachtsfest.
Der heilige Abend und der Christtag! Zwei Tage haben wir im Jahre, an welchem
die Liebe herrscht, die vor nahezu zweitausend Jahren der Heiland geoffenbart
hat. Wenn jedes neue Jahrtausend auch nur einen Tag der selbstlosen Liebe in
das Jahr dazulegte, so brauchen wir nur mehr dreihundertdreiundsechzigtausend
Jahre, bis die Erde - vorausgesetzt, dass sie so lange das Leben hat - ein
Himmelreich ist.
Übrigens, wenn manche Leute das, was sie für den "Himmel"
tun, ohne dass die Mitmenschen davon einen Vorteil haben, für diese Welt
und ihre Bewohner üben wollten, wir kämen noch um ein Bedeutendes
früher zum heiß ersehnten Reiche Gottes auf Erden. -
Ihr kennt die Geschichte, wie der arme Gregor hinausging in den Wald, um
für seine lieben Kinder ein Christbäumchen zu holen. Dabei ergriff
ihn der Förster und ließ ihn als einen Dieb und Waldfrevler sofort
in den Arrest stecken. Das bürgerliche Gesetzbuch sagt, der Förster
hätte recht getan. Das ist mir schon ein Verdächtiger, der immer nur
aufs bürgerliche Gesetzbuch schaut und auf nichts anderes. Wir tragen ein
anderes Gesetzbuch in unserem Herzen. Als ich einst in jungen Jahren aus dem
Waldhause in die Fremde ging, unwissend und unerfahren, nahm mich meine Mutter
an der Hand und sagte: "Peter, wenn du einmal einem anderen etwas tun
willst und weißt nicht, ob's recht oder unrecht ist, so mache auf ein
Vaterunser lang die Augen zu und denk', du wärest der andere." - Da
habt ihr das Evangelium, den Katechismus und das bürgerliche Gesetzbuch in
wenigen Worten beisammen.
Finden denn die Weihnachtsglocken nimmer Harmonie in unserer Seele? Heute
ausgelassene Schenkfreude, morgen wieder Lieblosigkeit. Wäre denn die
Treue, das herzliche Anschließen des Menschen nicht
selbstverständlich auf dieser Welt, wo die Elemente jede Stunde tausend
Waffen gegen uns bereithalten? Wahrlich, es ist nicht klug, sich Feinde zu
schaffen unter den Brüdern und hohlen Phantomen nachzujagen und Herzen zu
verwunden die kurze Zeit, da wir das Sonnenlicht schauen über den
Gräbern. Die Lichter am Weihnachtsbaum, sie brennen genauso feierlich
ernst und still, wie jene dereinst an der Totenbahre! -
Peter Rosegger, 1843 -
1918 |
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