Die Geschichte vom Weihnachtsmarkt
Luise Büchner
Am Tage vor Weihnachten war das Wetter hell und klar und der Schnee
festgefroren. Da sagte die Tante zu den Kindern: "Heute führe ich
Euch auf den Weihnachtsmarkt, lasst Euch schnell die Mäntelchen anziehen
und die Hütchen aufsetzen!"
Das brauchte sie nicht zweimal zu sagen, in einem Augenblick waren die Kinder
fertig und nun ging es hinaus in den frischen, klaren Morgen. Man dachte aber
gar nicht an die Kälte, denn in den Straßen war ein so
geschäftiges Hin - und Herrennen, ein so hastiges Treiben, als ob der
schönste Frühlingstag angebrochen wäre. Und fast ein
Frühlingsanblick war es auch, als die Tante nun mit den Kindern in die
Straße einbog, welche zum Markte führt. Sie hielt Georg und
Mathildchen an beiden Händen und so gingen sie durch zwei lange, dichte
Reihen von Fichten - und Tannenbäumen aller Art, groß und klein,
hell - und dunkelgrün, die sich prächtig ausnahmen auf dem
weißen, funkelnden Schnee. Um die Bäume herum war ein Drängen
und Schieben, dass man kaum vorbei konnte, und überall begegnete man
Leuten, die ihre Bäume schon nach Hause trugen.
"Aber, Tante", sagte Mathildchen, "ich dachte, das
Christkindchen bringt Alles, und nun holen sich doch da die Menschen ihre
Christbäume selbst nach Hause."
"Das ist wahr", sagte die Tante, "aber Du vergisst, dass sie das
Christkind alle hierher geschickt, und unsichtbar geht es jetzt mit dem
Nikolaus umher und sieht und hört Alles, was hier vorgeht. Es gibt jetzt
so viele Menschen auf der Welt, dass die Beiden mit dem besten Willen nicht
mehr alle Geschäfte allein fertig bringen können und da müssen
sie sich schon von den großen Leuten ein wenig helfen lassen. Verstehst
Du das?"
"Ja, Tante, ganz gut", antwortete Mathildchen und befriedigt gingen
sie weiter nach dem Markte, wo eine Bude neben der andern stand, angefüllt
mit begehrenswerten Herrlichkeiten. Auch da ging es munter zu und namentlich
vor dem Puppenladen standen ganze Reihen von Kindern, die zusahen, wie die
Puppen sich an langen Fäden hin - und herschaukelten.
Georg und Mathildchen sperrten Mund und Nase auf, die Tante aber ging bald da,
bald dort an eine Bude, sprach leise einige Worte und ließ dann
geheimnisvoll etwas in ihre große Markttasche gleiten.
"Tante, kaufe mir auch etwas", bat Mathildchen, "die Puppe mit
dem rosa Kleid möchte ich gerne haben, die gefällt mir!"
"Mir auch kaufen, eine Peitsche!" rief Georg. "Ihr seid
klug", sagte die Tante, "Ihr wollt also schon heute und morgen noch
einmal beschert haben?" "Ja, Tante, recht gern!" rief das kleine
mutwillige Volk und - was wollte die gute Tante machen? Sie kaufte die Puppe
und die Peitsche und als sie erstere gerade dem Mathildchen hinreichen und in
die ausgestreckte Hand geben wollte, hörte sie hinter sich sagen:
"Ach, wenn doch die schöne Puppe mein wäre!" Sie sahen sich
Alle um, da stand ein Häuflein Kinder beieinander, vier oder fünf,
die waren ganz blau und rot gefroren, denn sie hatten nur schlechte, dünne
Kleider an und der Wind zerzauste ihre gelben, unbedeckten Haare. Das Kind,
welches gesprochen, war ein wenig kleiner als Mathildchen und streckte immer
noch die Hand nach der Puppe aus, obgleich die größeren es am Rocke
zupften und ihm wehrten. Ach, es hätte doch gar zu gern auch einmal in
seinem Leben eine schöne, neue Puppe gehabt, aber es waren arme Kinder,
für die Niemand den Christbaum schmückte und die sich mit dem
bloßen Ansehen und Wünschen begnügen mussten.
"Möchtest Du die Puppe haben?" sagte die Tante freundlich zu dem
kleinen Mädchen und Mathildchen zog sie am Kleid und flüsterte:
"Liebste Tante, kaufe dem Kinde doch auch Eine!"
Die Tante aber schüttelte den Kopf und da das kleine Mädchen nicht
antwortete, sondern jetzt verschämt wegsah, fragte sie den
größten Knaben, ob sie Geschwister seien, wie sie hießen und
wo sie wohnten. Er gab auf Alles ordentlich Antwort, die Tante schrieb es in
ihr Notizbuch, dann nickte sie den Kindern freundlich zu und ging weiter.
"Aber Tante -" sagte Mathildchen ganz erstaunt. "Komm' nur
schnell", lautete die Antwort, "es ist viel zu kalt, um lange still
zu stehen und wir haben noch eine Menge Geschäfte. Nicht wahr,
Mathildchen, die Puppe mit dem rosa Kleid gibst Du gern dem kleinen
Mädchen und Georg überlässt seine Peitsche dem dicken Jungen mit
der Schmutznase, der gerade so groß ist wie er?" "Ja, Tante,
sehr gern!" riefen die Kinder, "aber sie sind ja nicht mehr da, wir
haben sie im Gedränge verloren!" "Nur Geduld, sie werden sich
schon wiederfinden. Da hat uns das unsichtbare Christkind einen Teil seiner
Arbeit übertragen und wir müssen und eilen, dass wir unsere Sache gut
machen. Ihr werdet schon sehen, wie das ist."
Nun kaufte die Tante noch allerlei hübsche Spielsachen ein, auch einige
warme Kleidungsstücke, dann verschiedenes Gebackenes, Glaskugeln,
Wachskerzen und zuletzt ein kleines Bäumchen, das Mathildchen zu ihrer
höchsten Freude eigenhändig nach Hause tragen durfte. Das kleine Volk
verging fast vor Neugierde, was es mit all' den Dingen geben sollte, die Tante
sagte aber nur: "Wartet bis heute Abend!"
Der Abend kam und mit ihm die trauliche Erzählerstunde. Die Kinder
saßen eng an die Tante gedrückt und Georg seufzte so recht aus
Herzensgrund: "Ach, jetzt brauchen wir nur noch einmal zu schlafen" -
"und dann ist das liebe Christkindchen da!" fuhr Mathildchen fort und
klatschte dabei jubelnd in die Hände. "Aber Tante, was erzählst
Du uns denn heute?"
"Heute erzähle ich Euch eine Geschichte vom Weihnachtsmarkt, die ist
noch viel schöner als die unsrige werden wird; hört mir recht
aufmerksam zu.
Vor vielen, vielen Jahren, als Ihr noch lange nicht auf der Welt waret, ist der
Weihnachtsmarkt schon eben so schön gewesen, als heute und alle Kinder der
Stadt, die armen wie die reichen, gingen hin, sich die Herrlichkeiten zu
betrachten. Das Christkind hatte schon damals die Gewohnheit, sich unbemerkt
unter die Menge zu mischen; über sein weißes Kleid hatte es einen
langen, dunklen Mantel gezogen und sein Blondköpfchen unter einer Kapuze
versteckt. Niemand konnte es erkennen, und so hörte es, was die Leute
miteinander redeten, was sie sich wünschten und vornehmlich achtete es auf
die Kinder, ob sie sich bescheiden oder habgierig und unartig auf dem
Weihnachtsmarkt benahmen. Gegen Abend kam es an eine Bude, in der waren die
schönsten Kinderspielsachen des ganzen Marktes zu finden, und sie war ganz
umdrängt von Kindern, die voll Sehnsucht und Bewunderung die wundervollen
Puppen, die Kochherde, die zierlichen Porzellangeschirre, die Puppenmöbel,
sowie die buntaufgezäumten Pferdchen, die Flinten, Trommeln und Trompeten
betrachteten. Eines machte das Andere auf immer neue Wunder aufmerksam und
Christkind freute sich an ihrer Freude und lachte fröhlich mit ihnen. auf
einmal sah es ganz am Ende der Bude ein kleines Mädchen von etwa zehn
Jahren stehen, das einen schweren, zappelnden Buben auf dem Arm hielt, der
fortwährend in die Höhe reichte, so dass die Kleine große
Mühe hatte, ihn festzuhalten. Sie musste sehr arm sein, denn sie hatte ein
ganz dünnes Röckchen an und ihre Arme waren halb entblößt,
aber das Haar war ordentlich gekämmt und in zwei feste Zöpfe
geflochten, unter denen ein Paar dunkelblaue Augen gar gutmütig und
freundlich hervorschauten. Sie lächelte bald dem Brüderchen zu, bald
betrachtete sie die schönen Dinge mit einer Freude, dass man sich selber
darüber freuen musste. Christkindchen ging zu dem Mädchen, legte ihm
leise die Hand auf die Schulter und sagte mit seiner süßen Stimme:
"Liebes Kind, die Sachen da gefallen Dir wohl sehr gut; wähle Dir
etwas davon aus, was Du am liebsten haben möchtest, ich will es Dir zum
Weihnachtsgeschenke geben."
Das Kind ward dunkelrot vor Freude, seine Augen leuchteten und durchliefen die
bunte Reihe, die vor ihm prangte. Da reichte das Brüderchen wieder
jauchzend mit dem Händchen empor. Das Mädchen drückte das Kind
an sich, folgte seinem verlangenden Blick und sagte dann schüchtern, indem
es die Augen niederschlug: "Wenn sie mir wirklich eine Freude machen
wollen, so geben sie meinem Brüderchen die goldglänzende Trompete,
die da oben hängt, er möchte sie gar zu gern haben."
Dem guten Christkind kamen die Tränen in die Augen, als es das hörte.
Das war ein Kind nach seinem Sinn. Es gönnte dem Brüderchen lieber
eine Freude, als sich selbst. Schnell nahm Christkind die Trompete herunter,
reichte sie dem Brüderchen hin, das hell auflachte und ging weiter."
"Da hätte doch das Christkind dem guten Mädchen auch etwas geben
können!" rief Mathildchen eifrig.
"Sei nur ruhig und höre weiter zu, Christkind machte es noch viel
besser. Da es alle Menschen kennt, so wusste es, dass das brave Schwesterchen,
welches seinen Bruder so lieb hatte, Mariechen hieß, dass seine Eltern
sehr arm waren und sie ganz am Ende der Stadt in einem alten, kleinen
Häuschen wohnten.
Am nächsten Abend war Weihnacht. Schon flammten überall die
Christbäume, jauchzten und lärmten die Kinder, in dem kleinen
Häuschen aber war es dunkel und still. "Wir sind zu arm, wir
können das Christkind nicht bestellen", sagte die Mutter zu ihren
fünf Kindern, als sie beieinander saßen und Eines derselben fragte,
ob nicht das Christkind auch zu ihnen käme. Dabei weinte sie und die
Kinder taten es auch. Nur der kleine Bruder war vergnügt, der schmetterte
laut auf seiner Trompete und das gute Mariechen, welches das älteste der
Geschwister war, einte auch nicht und sagte: "Ach, wir sind doch
vergnügt, wir haben einander ja so lieb." Auf einmal aber ward es
lebendig vor dem kleinen Hause; es klingelte so sonderbar und leise durch die
dunkle Nacht und da kam ja wahrhaftig ein Eselein einhergetrabt, neben dem ging
ein dunkler Mann mit einem weißen, langen Bart und auf dem Esel saß
ein wunderschöner Engel, mit weißen, glänzenden Flügeln
und einem lichtblauen Gewande, das war wie der Winterhimmel mit flimmernden
Sternen ganz übersät. Das konnte ja wohl Niemand anders sein, als
unser liebes Christkind mit seinem getreuen Nikolaus. Der band das Eselchen an
der Türe fest, Christkind stieg ab, machte leise die Türe auf und
Nikolaus trug die schweren Tragkörbe, die er dem Esel abgenommen, in das
Haus hinein.
In der Küche stellte sie Alles nieder, dann schellte Christkind laut und
lange, dass sie drinnen in der Stube Alle in die Höhe fuhren und nach der
Türe liefen, um zu sehen, was das bedeute. Dass es so kommen würde,
hatte sich der Nikolaus schon vorgestellt; er stand darum vor der
Stubentüre und rief, als sie aufging, mit seiner Bärenstimme hinein:
"Es soll Niemand heraus kommen, als das Mariechen!"
Da flohen Alle vor furcht wieder zurück und nur Mariechen kam
unerschrocken heraus und sagte: "Da bin ich, was soll ich tun?"
"Komm' in die Küche!" brummte der Nikolaus jetzt etwas sanfter
und als sie hineinkam, da war diese ganz erfüllt von dem wunderbarsten
Glanze und Mariechen sah das Christkind leibhaftig vor sich stehen. Nun
erschrak es so sehr, dass es fast umgefallen wäre, Christkind aber fasste
es in die Arme, küsste es auf die Stirne und sagte: "Kennst Du mich
noch?" und als Mariechen erstaunt mit dem Kopfe schüttelte, fuhr es
fort: "Aber ich kenne Dich, so wie ich alle guten und braven Kinder kenne.
Ich war die Frau, die Dir gestern auf dem Weihnachtsmarkt die Trompete für
den Bruder gab, weil Du ihm lieber als Dir eine Freude gönntest und darum
komme ich, um heute auch dir ein Vergnügen zu bereiten. Weil du so gerne
gibst, sollst du jetzt Deinen lieben Geschwistern und Deiner Mutter an meiner
Stelle bescheren. Ist Dir das recht?"
Das gute Mariechen schluchzte laut vor Freude: "O Christkind", rief
es, "so viel verdiene ich ja gar nicht." "Weine jetzt nicht,
Mariechen, sondern eile Dich, wir müssen wieder fort", sagte
Christkind, "gehe hinein in die Stube und schicke sie Alle in die Kammer,
damit wir anfangen können."
Mariechen wusste nicht, ob es träume oder wache, aber es lief hinein in
die Stube und rief zwischen Weinen und Lachen: "Macht Euch schnell Alle
hinein in die Kammer und guckt ja nicht durch's Schlüsselloch, es kommt
etwas sehr Schönes!"
Die Mutter wollte erst fragen, aber Mariechen bat sie so herzlich, mit den
Geschwistern hinein zu gehen, dass sie sich fügte. Dann schloss Mariechen
schnell die Türe hinter ihnen zu, lief in die Küche, dann wieder
herein und holte auf Christkindchens Geheiß ein weißes Tuch aus dem
Schrank, das es über den alten, schwarzen Tisch breitete. Nun fing der
Nikolaus an auszupacken und seine Siebensachen in die Stube zu schleppen.
Mitten auf den Tisch stellte er einen Christbaum, der war über die
Maßen schön geschmückt und mit Lichtern ganz übersät.
Der Baum stand in einem Moosgärtchen, in dem weideten weiße,
flockige Schafe mit goldnen Halsbändern und langen, roten Beinen und ein
Schäfer saß auf einem Felsen und blies auf seiner Schalmei, man
hörte es aber nicht. Dann wurde um den Baum herum große
Herzlebkuchen gelegt, für die Mutter und jedes der Kinder einen. Auf jedem
schichtete Christkind ein Häufchen Äpfel, Nüsse und
Anisgebackenes auf und legte die Päckchen daneben, die Nikolaus ihm
reichte. Da war für die Mutter ein warmes Tuch, Für Gretchen ein
Kleidchen und eine schöne Puppe, für Hans eine Mütze und ein
Lesebuch, für Jakob ein Kittel und eine Flinte und für den kleinen
Trompeter, der spaßiger Weise auch gerade Peterchen hieß, warme
Schuhe und Strümpfe und ein Paar wundernette Pferdchen mit roten
Zäumen.
Mariechen half auspacken und auflegen und war ganz außer sich vor Freude.
Als sie fertig waren, sagte Christkind: "Für Dich Mariechen, habe ich
nichts, was meinst du dazu?"
"O, liebes Christkind", rief Mariechen und hob die gefalteten
Hände in die Höhe, "ich bin doch die Glücklichste von
Allen; Du gibst mir das Schönste und Beste, indem ich den Andern bescheren
und ihre Freude sehen darf." "Recht so, meine Kleine",
antwortete das Christkind und küsste Mariechen wieder auf die Stirne,
"Bleibe so gut und liebevoll und es wird Dir wohl gehen auf Erden und alle
Menschen werden Dich lieben!"
"Wir müssen fort", mahnte der Nikolaus, "wir sind noch
lange nicht fertig."
"Ich komme schon, alter Brummbär", sagte Christkind, breitete
seine Flügel auseinander, lächelte Mariechen noch einmal freundlich
zu und - fort waren sie. Nur ganz aus der Ferne hörte man noch Eselchens
Glöcklein erklingen.
In dem engen Häuschen aber erhob sich jetzt ein Jubel und Jauchzen, wie es
in keinem der reichen, stattlichen Häuser froher und herzlicher gewesen.
Auf Mariechens Ruf waren sie aus der dunklen Kammer herausgestürzt,
standen erst einen Augenblick wie versteinert und dann brach die helle Freude
los.
"Ach, was für ein schönes Kleid! - Wie, eine Flinte für
mich? Ich schieße euch alle tot: Pfiff, Pfaff, Pfuff! - Ein Buch, ein
Buch! Daraus lese ich Euch vor! - Zieh, Gaul, zieh!" So ging es wohl eine
Viertelstunde lang ohne aufzuhören, man war fast taub von dem Lärm.
"Aber Mariechen, Du hast ja gar nichts", riefen auf einmal die
Geschwister, nachdem sie sich an ihren Geschenken und dem strahlenden
Christbaum satt gesehen. Die Mutter, die bis dahin nur durcheinander gelacht
und geweint hatte, nahm ihr Mariechen in den Arm, küsste und drückte
es fest an sich und sagte zu den Andern: "Seht Ihr nicht, dass sie das
Beste bekommen hat. Weil sie so gerne gibt, durfte sie uns geben, und das ist
immer noch zehnmal seliger als nehmen. - Wie nun die Tante schwieg, denn die
Geschichte war zu Ende, blieben die Kinder noch ein Weilchen sitzen, dann sagte
Mathildchen:
"Tante ich möchte die rosa Puppe, welche Du mir heute gekauft hast,
gerne dem kleinen Mädchen bescheren, das wir heute auf dem Markt gesehen.
Wenn wir nur wüssten, wie es heißt und wo es wohnt!"
"Und ich will die Peitsche bescheren!" rief Georg. "Wollt Ihr
gerne?" sagte die Tante; "nun, das ist schön, da haben wir ja
alle drei den gleichen Gedanken, und ich weiß auch, wie die Kinder
heißen und wo sie wohnen. Heute Abend erlaubt Euch die Mama ein
Stündchen länger aufzubleiben; da sollt Ihr mir eine ganz
Weihnachtsbescherung für sie rüsten helfen!"
Georg und Mathildchen klatschten vor Freude in die Hände und liefen
geschäftig hin und her der Tante zu helfen. Erst wurde das
Tannenbäumchen hereingebracht, welches sie auf dem Markte gekauft hatten,
wurde in ein Moosgärtchen gesteckt, in dem gleichfalls rotbeinige Schafe
weideten, und hernach feierlich die große Tasche herbeigeschleppt, die so
viele Schätze verschlungen hatte und sie nun alle wieder herausgeben
musste.
Die Kinder bekamen Nadel und Faden, damit fädelten sie die Glasperlen ein,
dann wickelten sie feinen Draht um die goldnen und silbernen Nüsse und
knüpften lange Seidenfäden an die Konfektstücke. Die Tante hing
Alles auf, befestigte die Kerzchen an dem Baume und bald stand er fertig
geschmückt vor ihnen. Dann wurden die Spielsachen und
Kleidungsstücke, welche die Tante besorgt, herbeigeholt, für jedes
Kind ein Päckchen davon gemacht und sein Name darauf geschrieben. Dass die
rosa Puppe und die Peitsche mit dabei waren, versteht sich von selbst.
Sie waren kaum fertig, als es anklopfte und eine Frau hereintrat, die gar
ärmlich, aber reinlich gekleidet war. die Tante begrüßte sie
freundlich und sagte zu ihr: "Liebe Frau, da haben wir, mein Mathildchen,
mein Georg und ich eine kleine Christbescherung für Ihre Kinder
hergerichtet. Nehmen Sie Alles mit sich, verstecken sie es daheim und morgen
Abend, wenn es fünf Uhr schlägt, zünden Sie den Kinderchen den
Christbaum an, da brennt er gerade zur selben Zeit mit dem unsrigen." Die
Frau war überglücklich; sie drückte der Tante die Hand,
küsste Georg und Mathildchen und packte dann mit deren Hilfe Alles wohl
zusammen.
Nun waren aber die Kinder sehr müde, so wie die Tante auch. sie setzte
sich mit ihnen noch einen Augenblick auf das Sofa und nahm jedes in einen Arm,
da sagte Mathildchen, indem es sein Köpfchen an die Schulter der Tante
legte: "Tantchen, ich bin so vergnügt! Ich denke gar nicht mehr
daran, dass morgen schon Weihnachten ist, ich meine, es habe mir schon
beschert!"
"Ich bin auch vergnügt, mein Goldkind", antwortete die Tante,
"denn das gibt eine Bescherung nach meinem Sinn. Aus den großen,
allgemeinen Bescherungen, wo die armen Kinder in fremden Häusern und unter
den Augen von fremden Leuten in einen Saal mit einigen Christbäumen
getrieben werden, wo sie sich kaum umzusehen, noch weniger sich laut zu freuen
wagen, und dann, wenn sie heimkommen, ihr dunkles Stübchen noch dunkler
finden, mache ich mir im Grunde nicht viel. Wenn ich ein König wäre,
müsste am Weihnachtsabend in jedem Häuschen, wo Kinder sind, ein
Christbaum brennen und wäre er auch nicht größer als meine
Hand!" die Tante sagte das eigentlich nur für sich, denn die Kinder
hätten es doch nicht verstanden und schliefen auch schon halb. -
Als es aber wieder Abend ward, da brauchte die Tante nichts mehr zu
erzählen, denn da war der heilige Christ selber gekommen und hatte alle
Wünsche, Träume und Hoffnungen in glückselige Wirklichkeit
verwandelt. Georg und Mathildchen waren außer sich vor Freude, sie
wussten kaum, was sie zuerst und am meisten bewundern sollten. Mathildchen
stand vor einer herrlichen Puppenküche und war bereits in voller
Tätigkeit, einen Kuchen zusammen zu rühren, da rief sie
plötzlich aus Ihrem Jubel heraus: "Ach Tante, eben denke ich dran!
Jetzt ist es auch hell bei den armen Kindern und beschert es bei ihnen. Das ist
doch noch das Allerschönste!" "Ja, das Allerschönste!"
wiederholte Georg von seinem neuen Schaukelpferde aus.
Luise Büchner, 1821 -
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