Der Schneemann
Manfred Kyber
Es war einmal ein Schneemann, der stand mitten im tief verschneiten Walde und
war
ganz aus Schnee. Er hatte keine Beine und Augen aus Kohle und sonst nichts und
das ist wenig. Aber dafür war er kalt, furchtbar kalt. Das sagte auch der
alte griesgrämige Eiszapfen von ihm, der in der Nähe hing und noch
viel kälter war.
"Sie sind kalt!" sagte er ganz vorwurfsvoll zum Schneemann.
Der war gekränkt. "Sie sind ja auch kalt," antwortete er.
"Ja, das ist etwas ganz anderes," sagte der Eiszapfen überlegen.
Der Schneemann war so beleidigt, dass er fort gegangen wäre, wenn er Beine
gehabt hätte. Er hatte aber keine Beine und blieb also stehen, doch nahm
er sich vor, mit dem unliebenswürdigen Eiszapfen nicht mehr zu sprechen.
Der Eiszapfen hatte unterdessen was anderes entdeckt, was seinen Tadel reizte:
ein Wiesel lief über den Weg und huschte mit eiligem Gruß an den
beiden vorbei.
"Sie sind zu lang, viel zu lang!" rief der Eiszapfen hinter ihm her,
"wenn ich so lang wäre, wie Sie, ginge ich nicht auf die
Straße!" "Sie sind doch auch lang," knurrte das Wiesel
verletzt und erstaunt. "Das ist etwas ganz anderes!" sagte der
Eiszapfen mit unverschämter Sicherheit und knackte dabei ordentlich vor
lauter Frost. Der Schneemann war empört über diese Art, mit Leuten
umzugehen, und wandte sich, soweit ihm das möglich war, vom Eiszapfen ab.
Da lachte was hoch über ihm in den Zweigen einer alten schneeverhangnen
Tanne, und wie er hinaufsah, saß ein wunderschönes, weißes,
weiches Schnee-Elfchen oben und schüttelte die langen hängenden
Haare, dass tausend kleine Schneesternchen herab fielen und dem armen
Schneemann gerade auf den Kopf. Das Schnee-Elfchen lachte noch lauter und
lustiger, dem Schneemann aber wurde ganz seltsam zu Mut und er wusste gar
nicht, was er sagen sollte, und da sagte er schließlich: "Ich
weiß nicht, was das ist...."
"Das ist etwas ganz anderes," höhnte der Eiszapfen neben ihm.
Aber dem Schneemann war so seltsam zu Mute, dass er gar nicht mehr auf den
Eiszapfen hörte, sondern immer hoch über sich auf den Tannenbaum sah,
in dessen Krone sich das weiße Schnee-Elfchen wiegte und die langen
hängenden Haare schüttelte, dass tausend kleine Schneesternchen herab
fielen.
Der Schneemann wollte unbedingt etwas sagen über das eine, von dem er
nicht wusste, was es war, und von dem der Eiszapfen sagte, dass es etwas ganz
anderes wäre. Er dachte schrecklich lange darüber nach, so dass ihm
die Kohlenaugen ordentlich herausstanden vor lauter Gedanken, und
schließlich wusste er, was er sagen wollte, und da sagte er:
"Schnee-Elfchen im silbernen Mondenschein,
du sollst meine Herzallerliebste sein!"
Dann sagte er nichts mehr, denn er hatte das Gefühl, dass nun das
Schnee-Elfchen etwas sagen müsse, und das war ja wohl auch nicht
unrichtig. Das Schnee-Elfchen sagte aber nichts, sondern lachte so laut und
lustig, dass die alte Tanne, die doch sonst gewiss nicht für Bewegung war,
missmutig und erstaunt die Zweige schüttelte und sogar vernehmlich
knarrte. Da wurde es dem armen, kalten Schneemann so brennend heiß ums
Herz, dass er anfing vor lauter brennender Hitze zu schmelzen, und das war
nicht schön. Zuerst schmolz der Kopf, und das ist das Unangenehmste -
später geht's ja leichter. Das Schnee-Elfchen aber saß ruhig hoch
oben in der weißen Tannenkrone und wiegte sich und lachte und
schüttelte die langen hängenden Haare, dass tausend kleine
Schneesternchen herab fielen. Der arme Schneemann schmolz immer weiter und
wurde immer kleiner und armseliger und das kam alles von dem brennenden Herzen.
Und das ist so weitergegangen und der Schneemann war schon fast kein Schneemann
mehr, da ist der heilige Abend gekommen und die Englein haben die goldnen und
silbernen Sterne am Himmel geputzt, damit sie schön glänzen in der
heiligen Nacht.
Und da ist etwas Wunderbares geschehen: wie das Schnee-Elfchen den Sternenglanz
der heiligen Nacht gesehen hat, da ist ihm so seltsam zu Mute geworden und da
hat's mal auf den Schneemann heruntergesehen, der unten stand und schmolz und
eigentlich schon so ziemlich zerschmolzen war. Da ist's dem Schnee-Elfchen so
brennend heiß ums Herz geworden, dass es herunter gehuscht ist vom hohen
Tann und den Schneemann auf den Mund geküsst hat, so viel noch davon
übrig war. Und wie die beiden brennenden Herzen zusammen waren, da sind
sie alle beide so schnell geschmolzen, dass sich sogar der Eiszapfen
darüber wunderte, so ekelhaft und unverständlich ihm die ganze Sache
auch war.
So sind nur die beiden brennenden Herzen nachgeblieben, und die hat die
Schneekönigin geholt und in ihren Kristallpalast gebracht, und da ist's
wunderschön und der ist ewig und schmilzt auch nicht. Und zu alledem
läuteten die Glocken der heiligen Nacht.
Als aber die Glocken läuteten, ist das Wiesel wieder herausgekommen, weil
es so gerne das Glockenläuten hört, und da hat's gesehen, dass die
beiden weg waren.
"Die beiden sind ja weg," sagte es, "das ist wohl der
Weihnachtszauber gewesen."
"Ach, das war ja etwas ganz anderes!" sagte der Eiszapfen
rücksichtslos und das Wiesel verzog sich empört in seine Behausung.
Auf die Stelle aber, wo die beiden geschmolzen waren, fielen tausend und
abertausend kleine weiße, weiche Flocken, so dass niemand mehr was von
ihnen sehn und sagen konnte. - Nur der Eiszapfen hing noch genau so da, wie er
zuerst gehangen hatte, und der wird auch niemals an einem brennenden Herzen
schmelzen und auch gewiss nicht in den Kristallpalast der Schneekönigin
kommen - denn der ist eben etwas ganz anderes!
Manfred Kyber, 1880 -
1933 |
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