Die Geschichte von der Frau Holle
Luise Büchner
Vor ganz undenklich langer Zeit, da gab es noch gar kein Christkindchen,
sondern nur eine Frau Holle, die wohnte nicht weit von uns auf der
höchsten Spitze der Odenwaldberge, auf der kalten, windigen
Böllsteinerhöhe. Die schönen Odenwaldberge waren damals noch
nicht wie jetzt, fast bis hinauf mit fruchtbaren Feldern und schönen
Wiesen bedeckt, sondern dunkle Wälder zogen sich fast bis zu ihrem
Fuße hinab, in denen Hirsche und Rehe herumsprangen und wo eine Menge von
Köhlern wohnten, die ganze Gebirge von Kohlen brannten und diese dann
hinunter in die Täler zum Verkaufe brachten. Zwischen den Tannen - und
Buchenbäumen aber wuchs noch ein kleiner Wald von Ginster, so dass es im
Frühjahr, wenn sie blühten, aussah, als sei der ganze Odenwald mit
Gold bestreut. Von diesen gelben Blüten naschten Millionen Bienchen den
süßen Blumenstaub und waren sie abgeblüht, dann kamen die
Besenbinder, schnitten die Reiser ab und banden Besen davon. Für die
Bienchen aber blühten nun ganze Felder von Heidekraut, und schien der
Odenwald zuvor gelb, so war er jetzt fast rot. Wenn dann auch die Heide all'
ihre Süßigkeit hergegeben und zu verblühen begann, so flogen
die Bienchen hinunter in die Täler und brachten ihren Honigseim den
Bäckern, die köstliche braune Lebkuchen davon machten. - So
schön war es damals im Odenwald und ist es zum Teil noch, wenn es auch
nicht alle Leute wissen und sehen.
Auf der höchsten Spitze aber, auf dem Böllstein, war schon zu jener
Zeit ein großer freier Platz, der von hohen Tannen eingefasst war und auf
dem eine Menge Steine und Felsen herumlagen. Da hatte die gute Frau Holle ihren
Sitz und konnte über die anderen Berge hinweg, weit hinaussehen in das
Land, bis an den Rhein, den Main und den Neckar. Sie liebte alle Menschen, die
da herum wohnten in Städten und Dörfern, sie kannte sie Alle und
belohnte und bestrafte sie, je nachdem sie es verdienten. Ebenso kannte
Jedermann die Frau Holle; die Guten liebten und die Bösen fürchteten
sie, denn sie sah mit ihren hellen, durchdringenden Augen rings umher Alles,
was geschah. - Die Frau Holle hatte auf dem Böllstein kein Haus, in dem
sie wohnte, und wer am hellen Tage über den Berg ging, der merkte nichts
von ihr, in lauen Sommernächten aber hörte man rings zwischen den
Bäumen ein Kichern und Zischeln und Lachen, dass es den Leuten ganz
sonderbar zu Mute ward und sie lieber einen weiten Umweg machten, als über
den Berg gingen. Im Winter, wenn die Tage am kürzesten waren, da sah man
auch manchmal ein helles Feuer auf dem Böllstein glänzen, aber nur
von Weitem, denn da lag der Schnee ellenhoch und es hätte Keiner sich
hinauf getraut, wie auch Keiner den Pfad kannte, der zwischen den Felsen durch
unter die Erde und gerade hinein in Frau Holles goldnen Saal führte, in
dem sie wohnte. Der Saal war wunderschön; er hatte goldne Wände und
eine silberne Decke, die von Säulen aus blauen Steinen getragen ward. Da
drinnen saß die Frau Holle, umgeben von einer ganzen Schar kleiner
Englein, die rosenrote Flügel an den Schultern trugen und statt der
Kleider in ihren langen, blonden Locken gehüllt waren, welche ihnen bis
auf die kleinen Füße herabfielen. Mit den Engelein arbeitete die
fleißige Frau Holle Tag und Nacht; sie spannen, strickten und webten,
dass es eine Lust war. Wenn aber der Frühling kam, dann stieg Frau Holle
herauf auf die Erde, zog ein langes, grünes Kleid an, setzte einen Kranz
von Kornblumen und Ähren auf und fuhr in einem goldnen Wagen, den zwei
schneeweiße Kühe zogen, über das ganze weite Land, das sie von
ihrer Höhe aus übersehen konnte. Wo sie vorüber kam, streute sie
Samenkörner aller Art aus und gleich darauf prangte die Erde in den
verschiedenartigsten Farben. Hier breitete eine grüne Wiese ihren
Blumenteppich aus, dort wogte ein reifendes Kornfeld, daneben lag wie ein
blaues Tuch ein Acker mit blühendem Flachse ausgespannt, und gelbe
Rapsfelder durchschnitten gleich langen Bändern die Flur nach allen
Richtungen. Das Alles ließ die gute Frau Holle wachsen, aber nur auf den
Feldern der fleißigen Menschen, auf denen der Faulen machte sie Disteln
und Unkraut emporschießen. Wenn dann die Erde so schön
geschmückt war, fuhr sie wieder heim in ihren goldnen Saal und nur an
milden Sommerabenden, wenn der Mond schien und die Sterne flimmerten, stieg sie
mit den Englein wieder herauf und da tanzten sie auf dem dichten Heidekraut,
das den Böllstein bedeckt, den Ringelreihen, wozu alle Vögel im Walde
musizierten. So trieben sie es den ganzen Sommer und Herbst über, aber
wenn die Blätter abfielen und die Nordwinde sausten, da ward es gewaltig
kalt auf dem Böllstein, so dass man sich des Nachts lieber in ein warmes
Bett steckte, als draußen herumtanzte. Der Frau Holle ging es auch so und
sie befahl den Engelein ihr Federbett zurecht zu machen und tüchtig
aufzuschütteln. Wenn die Engelein das hörten, waren sie sehr
vergnügt, es gab für sie keine größere Lust, als Frau
Holles Bett zurecht zu machen. Sie schüttelten und rüttelten an den
Federn und Eins warf unter lautem Lachen das Andere hinein, so dass die Flocken
bis über den Rhein und den Main hinüber flogen und stoben. Da sagten
die Leute drunten im Tal und in der Ebene: "Es wird Winter, die Frau Holle
schüttelt ihr Bettchen aus!" Und sie holten die Pelzkappen und
Pelzröcke hervor und steckten sich tief hinein. die Frau Holle hatte aber
auch einen dicken, warmen Pelzrock und eine Pelzmütze, die zog sie nun
statt des schönen Kranzes über die Ohren. Für die Engel waren
kleine Pelzröcke und Pelzkappen da und wenn es ein schöner
Winterabend war, zogen sie von der Böllsteinhöhe aus und folgten der
Frau Holle, wohin diese sie führte. Die Frau Holle war eine überaus
fleißige und reinliche Frau und hasste nichts so sehr, als den Schmutz
und die Faulheit. So wie sie im Sommer die faulen Landwirte strafte, machte sie
es im Winter mit den schmutzigen und faulen Frauen und Mädchen. Darum kam
sie des Abends in die großen Stuben, wo die Mütter und Töchter
zusammen saßen und spannen, strickten und nähten. Sie setzte sich zu
ihnen, arbeitete mit ihnen und gab genau Acht, wer seine Sache gut machte. Wenn
ein Kind ein schönes, reines Strick- und Nähzeug hatte, fand es am
anderen Morgen in seinem Körbchen eine hübsche, neue Puppe, oder ein
Bilderbuch, oder einen großen, braunen Herlebkuchen. - Den Strümpfen
aber, die überall Jahresringe von Schmutz zeigten und den Hemden und
Schnupftüchern, die genäht waren, als ob sie von Sackleinen
wären, denen war die Frau Holle todfeind. Da kamen die Engelein in der
Nacht, fielen mit langen, feinen Scheren über die schlechte Arbeit her und
zerschnitten sie in tausend kleine Stückchen, und wo ein unordentlicher
Spinnrocken stand, den zerrupften und zerzupften sie so gründlich, dass
auf der Welt nichts mehr damit anzufangen war. Kamen dann am andern Morgen die
unordentlichen Mädchen und Kinder an ihre Arbeit, so fanden sie die
Bescherung, aber keine Christbescherung, keine Puppe, kein Bilderbuch, sondern
nur schmutzige Fädchen und Läppchen, und die Schande und den Spott
obendrein.
Den schmutzigen Mama's aber ging es am allerschlimmsten; da brachten die
Engelein in der Nacht lange Besen mit und fegten den Schmutz aus den Ecken
hervor, wo man ihn hineingesteckt hatte. Sie kehrten alles an die
Türschwelle, das gab oft einen Berg fast so hoch wie der Böllstein,
und wenn die Leute am Morgen zur Türe hinaus wollten, waren sie in ihrem
eignen Schmutz gefangen und mussten ihn erst hinwegschaffen, ehe sie wieder
frei herumgehen konnten. Auf diese Weise ward es wenigstens einmal im Jahre
sauber im Hause und es wäre ein rechtes Glück, wenn die Engelein
jetzt auch noch manchmal zum Fegen kämen. Weil es aber jetzt so ungeheuer
viele Bücher gibt, in denen alles, was die Frauen und Mädchen tun
sollen, geschrieben steht, denken sie, sie könnten sich die Mühe
sparen und brauchten kein Beispiel mehr zu geben. Die Bücher tun es aber
nicht allein, das sieht man deutlich alle Tage und die Zeiten waren oft besser,
wo die Frau Holle das schönste Beispiel für Alt und Jung gewesen.
Wenn die fleißigen Mama's ihre Töchterchen recht loben wollten, dann
wussten sie nichts Besseres zu sagen, als wie: " Du machst es fast so
schön, als die liebe Frau Holle."
Die gute Frau saß oft halbe Nächte lang bei den fleißigen
Leuten, war sie aber müde und sehnte sie sich nach Hause in ihr weiches,
warmes Bettchen, dann stand sie auf, öffnete das Fenster und warf das
Klingel Garn, das sie gesponnen hatte, hinaus, indem sie das eine Ende
festhielt. Dann rief sie freundlich: "Gute Nacht, ihr lieben Leute!"
setzte sich auf den Faden und ritt auf demselben so schnell wie der Wind hinauf
nach dem Odenwald und grade in ihren goldenen Saal hinein. Da merkten es erst
die Leute, wen sie zum Besuch gehabt und waren nun noch einmal so
fleißig.
So lebte die gute Frau Holle viele, viele, viele Jahre lang, da fühlte sie
auf einmal, dass sie ein wenig alt und schwach werde und nicht mehr so recht
fort könne. Im Frühling und im warmen Sonnenschein über Land zu
fahren, das ging noch an, aber die Wintergeschäfte wollten ihr gar nicht
mehr behagen. Es war auch ein schlechter Spaß, bei Schnee und Eis, bei
Wind und Wetter auf einem Zwirnsfaden durch die Nacht zu reiten.
Nun hatte die Frau Holle einen lieben, alten Freund, das war der Storch. Der
war weit gereist, hatte alle möglichen fernen Länder und Menschen
gesehen und wusste immer guten Rat. Der kam einmal im Sommer zu ihr auf Besuch,
denn im Winter ist es ihm im Odenwald viel zu kalt, dem klagte sie ihre Not und
sagte: "Lieber Storch, ich bin alt und gar allein, da möchte ich gern
ein Töchterchen haben, mit dem ich spielen und das ich hinunter zu den
Menschen schicken könnte, um die Fleißigen und Braven zu belohnen
und die Faulen und Bösen zu bestrafen. Du bist so weise und gelehrt und
bringst allen Menschenfrauen die kleinen Kinder, da muss es dich doch auch
freuen, wenn die Kinder brav und gut werden und etwas lernen."
"Ganz gewiss Frau Holle, das versteht sich von selbst", klapperte der
Storch.
"Wenn ich nun ein kleines Mädchen hätte, würde ich es so
lieb und fromm machen, dass alle Kinder ihm gleichen und von ihm geliebt sein
möchten. Lieber Storch, bringe mir von Deiner nächsten Reise ein
kleines Töchterlein mit!"
"Mein liebe Frau Holle", sagte der Storch, "das tue ich ja
herzlich gern; das schönste, beste und frömmste Kind, das ich auf
Erden finden kann, will ich Euch hierher bringen. Habt nur ein wenig
Geduld."
Frau Holle nickte und der Storch flog fort.
Der Sommer verging und der Herbst und der Winter kamen mit Macht. Frau Holle
schaute jeden Tag sehnsüchtig hinaus, ob der Storch nicht käme, aber
vergebens. sie ward ganz traurig und wollte gar nicht mehr ausreiten, wie sehr
auch die Menschen unten auf der Erde sich nach ihr sehnten. Die Englein taten,
was sie konnten, um sie aufzuheitern. Sie schüttelten und rüttelten
Frau Holles Bettchen und jagten die Federn so hoch in der Luft herum, dass die
Flocken ringsum fußhoch lagen und Menschen und Tiere darin stecken
blieben. Darüber wollte sich dann das kleine Volk halb tot lachen, aber
Frau Holle lachte nicht, sondern befahl ihnen nur, den Unsinn unterwegs zu
lassen. - Die Tage wurden kürzer und kürzer, die Nächte
länger und länger und endlich kamen die paar allerkürzesten
Tage, an denen die Sonne kaum Zeit hat hervorzugucken und gleich wieder fort
muss. Eben war sie wieder im Sinken begriffen, da zeigte sich ein schwarzer
Punkt über dem Odenwald, der kam näher und näher und wäre
es nicht schon so dämmrig gewesen, hätte man leicht den Gevatter
Storch erkennen mögen. Das war ja in dieser Jahreszeit eine Seltene
Erscheinung; er war es aber wirklich und er flog geradezu herauf auf den
Böllstein und an Frau Hollens Fenster. Er schlug mit seinem langen
Schnabel daran und rief: "Geschwind, liebe Frau Holle, geschwind macht
auf, mich friert ganz erbärmlich!" Schnell rissen die Engelein das
Fenster auf und ließen den Gevatter Storch herein.
"Da bin ich", sagte er, "ich komme weit, weit her aus einem
heißen Lande, wo die Sonne fast nicht untergeht und habe Euch von dort
das schönste, beste und frömmste Kind mitgebracht, das auf der ganzen
Erde zu finden war." mit diesen Worten legte er ein kleines,
schneeweißes Kindlein, das er vorsichtig im Schnabel trug, auf Frau
Hollens Bett. Als sie das hörte und sah, stieß sie einen
Freudenschrei aus, und die Engelein jauchzten laut auf. Das war ein
Vergnügen! Das Kindchen machte seine Augen weit auf, die waren so
durchsichtig blau, wie der schönste Sommerhimmel, dabei hatte es eine
Menge kleiner, goldner Löckchen auf dem Kopf und - das war das
Schönste - zwei kleine, schneeweiße Flügel an den Schultern.
Der Storch, der als ein weiser Mann nicht gern viel Worte machte, deutete auf
die Flügel und sagte kurz: "Damit es nicht auch auf dem Zwirnsfaden
reiten muss", worauf Frau Holle glückselig nickte und das liebe Kind
immer wieder von Neuem herzte und küsste. Die Engelchen freuten sich fast
nicht weniger als Frau Holle und schrieen und lärmten nach Herzenslust.
Der Storch aber machte ein ernsthaftes Gesicht und sagte: "Schweiget jetzt
Alle einmal und hört, was ich Euch zu sagen habe. Ich dachte immer an das,
was ich Frau Holle versprochen hatte und bin durch die ganze Welt geflogen,
ohne das ich bei den Menschen ein Kindlein finden konnte, das lieb und fromm
genug war, um ihr Töchterlein zu sein. So ward es Herbst und Winter und
meine alten Augen waren zuletzt ganz müde vom Suchen. Da kam ich heute in
ein fernes, fernes Land, wo das ganze Jahr über die Sonne scheint und
Frucht, wie Blüte nie vergehen. Dort war es schon Nacht, als hier noch Tag
gewesen, aber das Dunkel erhellte ein großer, heller Stern mit so
wunderbarem Glanze, wie ich noch nie gesehen. Der Stern schoss pfeilgeschwind
durch die Luft und ich flog ihm nach, bis er über einer kleinen, niederen
Hütte stehen blieb. Ich sah hinein, da lag in einer Krippe ein
wunderschönes, herrliches Kind, von dem ein noch hellerer Glanz als von
dem Sterne ausging. Rings um die Krippe schwebten Englein auf goldenen Wolken,
die sangen so schön und lieblich, wie ich noch nie etwas gehört. Das
Kind aber lächelte mich so freundlich an, dass ich dachte, dies ist das
Kind, das ich Frau Holle bringen möchte, denn ganz gewiss ist es das
liebste und beste auf Erden."
Da rief eine Stimme neben mir, von der ich nicht weiß, woher sie
gekommen: "Willst Du es mit Dir nehmen, dass es den kleinen
Menschenkindern in Deinem Lande stets ein Kind bleibe? Das Kind von dem sie
lernen, was Güte, Liebe und Gehorsam ist, selbst dann noch, wenn es schon
lange das Licht geworden, das die ganze Welt erhellen und mit neuem Glanze
verklären wird." Im nächsten Augenblick fühlte ich mich mit
dem Kinde emporgehoben und wie im Sturm durch die Luft getragen, ohne das ich
meine Flügel zu bewegen brauchte, und da bin ich nun Frau Holle und Ihr
besitzet das Kind, das Ihr Euch so heiß gewünscht, das gute fromme
Kind, dem die Menschenkinder in allem Guten nacheifern sollen, das freundliche
Kind, das ihnen Freude spendet, wenn sie brav sind, aber auch das
zürnende, das die Unartigen bestraft."
Während der Storch geredet, weinte Frau Holle heiße Tränen
stille in ihren Schoß und selbst den mutwilligen Engelein wurden die
Äuglein vor Rührung trübe. Dann kniete sie neben dem Bette
nieder, auf welchem das Kindlein lag und sprach: "Ja, ich kenne Dich, Du
bist das Licht der Welt, das über uns gekommen und vor dem meine Macht zu
Ende geht. Die deutschen Kinder aber sind doppelt glücklich zu preisen vor
allen Andern. In unsere deutschen Wälder und Täler bist Du
niedergestiegen als Kind und in ihnen bleibst Du jetzt als Kind, bis in alle
Ewigkeit und wirst allen Kindern das schönste und herrlichste Vorbild
sein!" Nun aber hielten sich die Englein nicht länger, auch ihnen war
ja die himmlischste Nacht angebrochen, die sie je gesehen und sie wollten diese
in Jubel und heller Freude begehen.
Sie zündeten ihre Kerzchen an, mit denen sie in den lauen
Sommernächten zwischen den Büschen und Gesträuchen herumtanzen
und flogen damit auf die Fichten und Tannen, die den Böllstein umgeben. Es
war wunderschön anzusehen, wie viele Lichter zwischen dem dunklen
Grün der Tannen glänzten und schimmerten. Frau Holle war ganz
entzückt davon; sie nahm das Kindlein auf den Arm und trug es hinaus, ihm
die Pracht zu zeigen. Da machte es die schönen Augen weit auf und
lächelte holdselig; die Engelein aber sangen:
"Sei gesegnet, Christkindlein,
Denn so sollst du heißen,
Weil noch nie so hold und rein
War ein Kind zu preisen!
Wer dich sieht, wird fromm und gut,
Muss vor dir sich neigen,
Oh, so nimm in deine Hut
Kindlein dir die gleichen!"
"Ja", sagte Frau Holle, indem sie das Kindlein hoch emporhob zu den
vielen Lichtern und den ewigen, glänzenden Sternen, "so soll es
werden, und so glücklich wie ich jetzt bin, sollen fortan in dieser Nacht
alle guten, braven Menschen und Kinder sein - es ist eine Weihnacht für
mich und für die ganze Welt. Übers Jahr, wenn du größer
bist, gehst du hinunter, wo die Menschen wohnen, bringst ihnen schöne
Gaben und zündest ihnen schimmernde Kerzen an grünen Bäumen an,
damit ihnen die lange Winternacht so hell und freudig werde, wie sie eben uns
geworden ist."
Da klatschten die Englein in die Hände und riefen: "So soll es sein!
Jedes Jahr wird nun den guten braven Kindern das Christkind neu geboren
werden!" Darauf gingen sie wieder alle in den schönen goldenen Saal,
der Storch flog fort - und nun wisst ihr die Geschichte von der Frau Holle und
dem Christkind, dessen Geburtstag wir sehr bald wieder feiern werden!
Luise Büchner, 1821 -
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