Die Geschichte vom Knecht Nikolaus
Luise Büchner
So war nun also das Christkindlein da und wurde von Frau Holle und den Engelein
mit der größten Zärtlichkeit gepflegt. Waren sie vorher
fleißig gewesen, so wurde sie es jetzt noch viel mehr. Den ganzen Tag
arbeiten sie für das Kind, das mit erstaunlicher Schnelle heranwuchs, im
Frühjahr bereits sprechen und laufen konnte und als der Sommer herum
gegangen, schon fast so groß war, wie die Mägdlein drunten im Tal,
wenn sie das erste Mal zum Tanz unter die Linde gehen. Die Engelein fingen
Sonnen- und Mondesstrahlen, haschten die Morgennebel und die feinsten
Spinnwebe, die zu finden waren. Daraus fertigten sie Christkindskleider und
einen langen, faltigen Schleier, den sie mit glänzenden Tautropfen
bestickten. - Je mehr das Christkind heranwuchs, je schöner und lieblicher
wurde sein Angesicht, je süßer seine Stimme und je holdseliger sein
Lächeln.
Als es aber nun Herbst war, dachte Frau Holle ernstlich daran, das nun die
Weihnacht nicht mehr ferne sei und ihr liebes Kind bald hinunter auf die Erde
ziehen müsse, aber sie fürchtete sich, es so ganz allein in die
kalte, dunkle Winternacht hinaus zu schicken. Außerdem sollten ja auch
nur die guten Kinder belohnt und die bösen bestraft werden - das
Christkind war aber viel zu gut, um dies über sein Herz bringen zu
können. Es blieb nichts Anderes übrig, man musst ihm einen
Gefährten suchen, der es beschützen und auch den bösen Leuten
zugleich ein wenig Furcht einjagen konnte. -
Nachdem sich die Frau Holle dies genügsam überlegt, zog sie eines
Tages wieder ihr schönes, grünes Kleid an, setzte einen Kranz von
Astern auf und bestieg den goldenen Wagen mit den zwei schneeweißen
Kühen. Neben ihr saß das Christkindchen in einem rosenroten Gewand,
auf welches goldne Sterne gestickt waren, über dem Kopf trug es den
feinen, langen Schleier, den eine Goldkrone festhielt. sie fuhren den ganzen
Tag herum, die Kreuz und Quere, ohne dass Frau Holle fand, was sie suchte.
Endlich kamen sie gegen Abend in ein kleines, grünes Tal, durch das ein
lustiges Bächlein strömte und am Ende des Tales eine Mühle
trieb. Neben dem Bächlein saß ein Mann, der hatte langes, schwarzes
Haar, einen schwarzen Bart und ein sehr braunes Gesicht. Vor ihm lag ein Haufen
schlanker Reiser und Gerten, von denen er Besen band, und er musste sehr
fleißig gewesen sein, denn eine Menge fertiger Besen lag schon neben ihm.
Frau Holle hielt ihren Wagen an und sagte freundlich: "Guten Abend ,
lieber Mann!"
Der Mann brummte mürrisch ohne aufzusehen. "Guten Abend!"
Frau Holle ließ sich nicht abschrecken und fuhr fort: "Wie
heißest Du denn, lieber Mann?"
"Nikolaus", brummte er eben so mürrisch als zuvor, "und ich
bin auch kein lieber Mann."
Frau Holle lachte: "Warum denn nicht, wer hat Dir denn etwas getan?"
"Niemand", knurrte er wieder, "es sollte mir auch nur Einer
kommen!"
"Nun, wer sagt denn, dass Du kein lieber Mann bist?"
"Das sagen alle bösen, unartigen Kinder, die ich durchaus nicht
leiden kann", antwortete der Nikolaus, und sah dabei das gute
Christkindchen ganz scharf und durchdringend an; es lächelte aber nur
freundlich dagegen, denn es wusste ja, dass es sich nicht zu fürchten
brauche. "Ei, lieber Nikolaus, da geht es mir grade wie Dir",
antwortete Frau Holle, "und nun sage mir auch noch, wozu Du bei Deinen
großen Besen die vielen kleinen liegen hast, mit denen kann man doch
nicht fegen."
"Ha, ha", lachte der Nikolaus, "das ist meine Erfindung; die
kleinen Besen sind Ruten für die ungezogenen Kinder. Wenn ich den
Müttern meine Besen verkaufe und ich höre, dass unartiges kleines
Volk im Hause ist, schenke ich ihnen eine tüchtige Rute, um die bösen
Schreier damit gehörig durchzuhauen. Da haben sie denn eine gewaltige
Furcht vor mir und wenn ein Kind nicht gleich folgen will, sagt die Mutter nur
zu ihm: "Schweig gleich still, sonst kommt der Besenbinder Nikolaus und
bringt Dir eine Rute."
"Ach, lieber Nikolaus", sagte Frau Holle, "wir passen ja
ausgezeichnet zusammen; sage mir nun auch noch, wo Du herkommst."
"Da", sagte er und deutete auf die Berge, "da hinter dem
Böllstein bin ich her; dort steht mein Häuschen, in dem ich mich im
Winter ausruhe und auf der warmen Ofenbank mein Pfeifchen rauche."
"Verstehst du denn sonst gar nichts als Besen binden, lieber
Nikolaus?"
Den Nikolaus machte das viele Fragen ungeduldig; er hatte immer fort gearbeitet
und warf nun einen fertigen Besen zu den übrigen, dass es laut klatschte
und das Christkindchen ganz erschrocken in die Höhe fuhr. "Ha,
ha!" rief er, "hast Du auch Respekt vor den Ruten?"
"Stille, stille, Niklaus", sagte jetzt Frau Holle gebieterisch,
"mein Kind braucht keine Ruten; gib mir schnell Antwort auf das, was ich
Dich fragte."
Zum ersten Mal sah jetzt der Nikolaus die Frau Holle und das Christkind
ordentlich an; da ward ihm ganz sonderbar zu Mute. Er stand auf, zog seine
Mütze ab, kratzte sich hinter den Ohren und sagte dann: "Na, ich
weiß nicht wie das kommt, so lange wie mit Euch, habe ich noch mit
Niemand im Leben gesprochen, und ich muss Euch auf Alles Antwort geben, wenn
ich auch gar nicht will. Eigentlich bin ich ein Lebkuchenbäcker und keiner
im ganzen Odenwald kann süßere und würzigere Lebkuchen machen,
als ich. Wenn ich aber nun so im Sommer mit meinen Lebkuchen zum Verkaufe
herumzog, an die Fenster klopfte und dann oft drinnen in den Stuben den Schmutz
und Unrat haufenweise herumliegen sah, da habe ich mich ganz entsetzlich
geärgert, denn nichts ist mir unausstehlicher als der Schmutz. Ich
hätte längst geheiratet, wenn ich mich nicht vor dem Schmutze
fürchtete."
Frau Holle strahlte vor Freude: "Lieber, lieber Nikolaus, du gefällst
mir außerordentlich gut", rief sie entzückt.
Der Nikolaus lächelte geschmeichelt und sah Frau Holle wieder von oben bis
unten an: "Ihr scheint mir wirklich eine saubere Frau zu sein", fuhr
er fort; "doch hört nur: da dachte ich, Besen sind den Menschen
notwendiger als Lebkuchen, denn die gute Frau Holle fegt nicht mehr bei ihnen
wie früher. so verlegte ich mich denn auf's Besen- und Rutenbinden, ziehe
mit meinem Eselchen im Lande herum und wo eine schmutzige Wirtschaft mit
unartigen Kindern ist, fahre ich hinein, dass es eine Art hat. Dabei verlernt
man es freilich ein lustiges Gesicht zu machen."
Als Frau Holle das hörte, wusste sie sich vor Freude kaum zu lassen; sie
reichte dem Nikolaus ihre schneeweiße Hand, neben der seine großen
harten Finge noch einmal so dunkel aussahen und rief: "Lieber Nikolaus,
komme mit mir, ich will Dich in ein so reinliches Haus führen, dass Du
gewiss Deine Freude daran hast!"
Da schüttelte er aber den Kopf und sagte: "Bewahre, da wird nichts
draus, ich muss zu meinem Eselchen, das steht drunten in der Mühle im
Stall, ich muss die Nacht bei ihm schlafen."
"Das Eselchen nehmen wir auch mit", versetzte Frau Holle, "eile
dich und hole es."
"Ja, wohin geht es denn?"
"Das wirst du schon sehen, eile Dich, eile Dich!" Der Nikolaus musste
tun, was Frau Holle sagte, mochte er wollen oder nicht; er raffte seine Besen
und Ruten zusammen, warf sie in Frau Holles Wagen und zuletzt noch einen
großen Sack, in dem es gar sonderbar rumpelte und rappelte, so dass das
Christkind mit seinem feinen Stimmchen fragte: "Was hast Du denn da drin,
lieber Nikolaus?"
"Da habe ich Nüsse und Äpfel drin, die schenke ich den braven
und artigen Kindern." "Ei , lieber Nikolaus, so kannst du also auch
gut sein?" rief Christkindchen ganz erfreut.
"Versteht sich, kann ich das; wer nicht ordentlich strafen kann, kann auch
nicht ordentlich belohnen. Willst Du jetzt einen dicken rotbäckigen
Borsdorferapfel, denn Du scheinst mir sehr lieb zu sein?"
Christkindchen dankte schön, nahm den Apfel und biss mit seinen
weißen Zähnchen hinein, während der Nikolaus nach der
Mühle ging, um sein Eselchen zu holen. Das wurde dann hinten an den
goldenen Wagen angebunden, Nikolaus setzte sich darauf und so ging es fort die
Böllsteinerhöhe hinauf und gerade hinein in Frau Holles hellen,
goldnen Saal. Schon unterwegs merkte es endlich der Nikolaus, mit wem er es
wohl zu tun habe, und er hätte lieber wieder unten am Mühlbach bei
seinen Besen gesessen, aber Frau Holle redete so liebreich mit ihm, dass er
nach und nach alle Furcht vergaß und ganz anständig von seinem Esels
sprang, nachdem sie angekommen.
War das eine Freude und ein Geschrei unter den Engelchen, als sie den braven
Nikolaus mit seinem Grauchen ankommen sahen! Erst fürchteten sie sich ein
wenig vor ihm, dann überschütteten sie ihn mit Redereien; Eines
zupfte ihn am Bart, ein Anderes warf alle seine Ruten und Besen in's Feuer,
dass diese hell aufflackerte und ein Drittes leerte gar den Sack mit
Nüssen und Äpfeln aus. Als diese nun auf dem glatten Marmorboden wie
toll hin und her kollerten, warfen sie sich insgesamt darauf, um sie aufzulesen
und nun hatte der arme Nikolaus wenigstens einen Augenblick Ruhe. Es war aber
auch Zeit, denn er machte ein furchtbar böses Gesicht und hob die Hand mit
drohender Gebärde gegen die Engelein auf. So gefiel er aber gerade der
Frau Holle am besten.
"Lieber Nikolaus", sagte sie, "Du musst immer bei und bleiben,
es soll Dich nicht gereuen. Wenn es jetzt Winter wird, begleitest Du mein
Christkindchen hinunter zu den Menschen, damit ihm unterwegs kein Unfall
begegnet, und weil es viel zu gut ist und nur mit den braven Kindern sprechen
und sie beschenken will, wirst du den unartigen eine Rute bringen und sie
tüchtig ausschelten. Ist Dir das recht, lieber Nikolaus?"
"Nein, das ist mir gar nicht recht", sagte der Nikolaus
mürrisch, "da kann nichts draus werden. Im Sommer ließe ich
mir's noch gefallen, im Winter aber ist's mir zu kalt; da lege ich mich lieber
auf meine warme Ofenbank, als das ich in der Nacht draußen
herumlaufe."
"Wir wollen schon dafür sorgen, dass Du nicht frierst", rief
Frau Holle, "ich gebe Dir meinen Pelzrock und meine Pelzmütze, darin
steckt man so warm, wie in einem feurigen Ofen."
"Aber mein Grauchen?" fragte der Nikolaus weiter, "das gebe ich
nicht von mir."
"Das brauchen wir ja gerade so nötig als Dich; auf dem Eselchen
lässt Du mein Christkind reiten, wenn es müde ist und außerdem
hängen wir ihm zwei große Körbe an, in den einen stecken wir
die Ruten, in den andern die guten Sachen. Bist Du so zufrieden?" Der
Nikolaus wollte noch immer nicht recht daran, da kam aber das Christkindchen
hervor, nahm ihn bei der Hand und sagte: "Lieber Nikolaus, Du bist ja doch
den braven Kindern gut, willst Du mich ganz allein durch die Nacht zu ihnen
gehen lassen und nicht auch sehen, wie sie sich freuen, wenn ich ihnen
schöne Geschenke bringe?"
Wie der Nikolaus nun das Christkind so vor sich stehen und in seine lieben
Augen sah, konnte er nicht "Nein!" sagen.
"Herzliebes Christkindchen", rief er, "so will ich denn in
Gottesnamen mit Dir ziehen, wenn ich auch entsetzlich frieren werde, man kann
Dir ja nichts abschlagen. Wenn ich aber nach Hause komme, müsst Ihr mir
immer für ein tüchtiges Feuer sorgen."
"Das sollst Du haben", rief Christkindchen, und die Engelchen tanzten
und schwirrten dem Nikolaus um die Nase herum und schrien:
"Nikelöschen, Nikelöschen,
Morgen geht's zu Karl und Röschen!
Zu Mathildchen und zu Anna,
Zu dem Georg und der Johanna!
Wollen sie nicht artig sein,
Ei, so schlag' nur tüchtig drein!"
bis der Nikolaus ganz zornig ward, mit den Füßen stampfte und mit
beiden Händen das kleine Gesindel von sich abwehrte.
Da rief Frau Holle: "Jetzt ist's genug; trollt Euch fort, führt das
Eselchen in den Stall zu den Kühen, gebt ihm gutes, frisches Heu und macht
ihm ein ordentliches Strohbett zurecht. Hernach aber bringt uns das
Abendessen!"
Die Engelchen stoben auseinander und in einer Minute war Alles getan, was Frau
Holle befohlen. Das Eselchen stand im Stall, fraß sein Heu und rief ein
vergnügtes "I - ah!" dazwischen. Für Frau Holle und
Christkindchen brachten die Engelein süße, köstliche Milch und
Zuckerbrot, vor den Nikolaus aber stellten sie eine große Schüssel
voll Sauerkraut und Kartoffelbrei mit einer langen, langen Wurst. Das gefiel
ihm sehr wohl, er griff wacker zu und sagte: "Liebe Frau Holle, es ist
wirklich recht schön und angenehm bei Euch!"
Luise Büchner, 1821 -
1877 |
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