Vom Feuermännchen und der Maus
Grisegrau
Paula Dehmel
"Heut will ich euch die Geschichte vom Feuermännchen
erzählen", sagte eines Abends unsere gute alte Tante Minna; "
sie ist zwar ein bissel gruselig, aber ich will sie euch doch erzählen.
Ihr müsst wissen, zu Hause in Pankenbrück hatten wir einen
großen Kachelofen, so einen recht altmodischen grünen Kachelofen.
Und blanke Haken hatte er, um nasse Kleider dran aufzuhängen, und eine
Warmröhre mit einer Messingtüre hatte er auch.
Darin gab es im Winter Bratäpfel oder ein Töpfchen mit Kaffee
für den Fritz und die Grete, wenn sie müde und hungrig vom
Schlittschuhlaufen kamen.
Ich sage euch Kinder, es war ein Prachtstück von einem alten Kachelofen!
Und was das herrlichste war, es wohnte ein Feuermännchen drin, ein
wirklich gelbes Teufelchen. Wenn man unten die Tür aufmachte und die rote
Glut einem entgegenschlug, konnte man ihn deutlich hüpfen und springen
sehn, hopp, hopp, immer durch die Flammen durch, hinüber und herüber.
Manchmal machte er auch einen ganz lächerlichen Specktakel. Er
amüsierte sich, die Holzstücke, die nicht gleich brennen wollten,
knack, mitten durchzubrechen, spuckte wohl auch die Flammen, dass sie
sprühten und zischten, und kicherte vernehmlich hinterher. Kurz und gut,
er war eben ein rechtes Teufelchen, wie alle andern Feuermännchen auch
sind.
Doch nun kommt meine Geschichte.
Einmal nämlich musste ich eine Mausefalle aufstellen. Im Eckschrank in der
Wohnstube hatte das Brot ein ganz verdächtiges Loch gehabt. Ich briet ein
Stück Speck hübsch knusprig und legte es in die Falle. Am andern
Morgen war der Speck weg, die Falle aber zu und von einem Mäuschen nix zu
sehen. Grete und ich schüttelten verwundert die Köpfe; bloß der
Fritz, der sich über nichts wunderte, lachte unbändig, so dass wir
schon glaubten, er habe das Mäuschen wieder laufen lassen. Er sagte aber
nein, und da er ein wahrhaftiger Junge war, musste wir ihm schon glauben. Ich
machte ein neues Stück Speck zurecht und richtete die Falle zum zweiten
Male. Aber es ging wie vorher: Speck weg, Maus weg, Falle zu! Das ging nicht
mit rechten Dingen zu!
Ich machte mir nun mein Bett auf dem Sofa in der Wohnstube zurecht und wollte
aufpassen. In der Falle roch wieder ein saftiges Speckstückchen. Ich legte
mich hin und blinzelte von Zeit zu Zeit hinüber, aber es blieb alles
still.
Wenn der Vollmond nicht so hell ins Zimmer geschienen hätte, wäre mir
die Zeit gewiss recht lang geworden. Endlich hörte ich Trippelschrittchen,
und - Kinder, da hatten wir die Bescherung! Da kam mein Mäuschen, aber
nicht allein, es hatte einen artigen Kavalier bei sich, nämlich unser
leibhaftiges Feuermännchen. Der ging an die Falle, hielt zierlich und
geschickt das Fallbrettchen hoch, Mäuschen holte den Speck, und als sie
außer Gefahr war, ließ das Kerlchen vorsichtig den Deckel wieder
fallen. Ich sah belustigt zu, mit welchem Appetit sie dann den Speck
verzehrten, und spitzte die Ohren, was sie wohl sonst noch machen würden.
Ich brauchte nicht lange zu warten, bis sie ihre drolligen Spiele anfingen.
Mitten auf der Diele war ein großer weißer fleck, den hatte der
Vollmond dorthin gemalt. Da begannen sie ihre Kunststückchen. wie die
geschicktesten Turner und Seiltänzer sag' ich euch!
Einmal war Feuermännchen der Reiter und Maus das Pferdchen. Hui, ging's
immer rundum, ohne Sattel und Zaum. Nein, das hättet ihr wirklich sehn
müssen! Von Mäuschens kleinen Ohren bis zu Mäuschens
Schwanzspitze lief das behände Männchen hin und her, vorwärts
und rückwärts, dass sein gelbes Röckchen sich um ihn bauschte
und die roten Schuhe klapperten. Dabei schoss er noch Köpfchen und schlug
Räder dabei; ich sage euch, mir wurde ganz wirbelig dabei.
Oder Maus lief ihrem Kameraden blitzschnell durch die Beine, rechtsum, linksum,
sprang ihm unversehens über den kopf weg, wieder durch die Beine und lief
ihm endlich davon. Dann begann ein tolles Haschen über Stuhl und Tisch,
oben und unten; von der Gardinenstange aufs Fensterbrett, von dort auf die
Sofalehne oder quer über die Kommode, bis sie sich endlich hatten und
müde waren. Dann setzten sie sich artig auf eine Fußbank und
streichelten und küssten sich wie richtige Liebesleute.
Bald aber tollten sie wieder wie vorher. Das dauerte so eine gute Stunde; da
ging der Mond weg, und Maus und Feuermännchen verschwanden im Ofen, unten,
wo schon lange eine Kachel fehlte. Na, nun wusste ich Bescheid und nahm mir
vor, da nun einmal das Mäuschen unserm Feuermännchen sein Schatz war,
ihr nix Böses zu tun. Im Gegenteil, Grete musste jeden Tag ein
Puppenschälchen voll Milch vor das Ofenloch stellen; und ich tat ab und zu
auch noch einen andern guten Bissen hinein; wusste ich doch, dass auch
Feuermännchen kein Kostverächter sei.
Bald war das Mäuschen so zahm, dass es sich auch am Tage hervorwagte, ja,
es stellte sich zu den Mahlzeiten ein und trug manch Häppchen zu ihrem
Schatz ins Ofenloch. Wir nannten sie Frau Grisegrau und hatten sie alle lieb.
Wenn Vollmond war, ließ es mir keine Ruhe; eine Nacht wenigstens musste
ich ihrem übermütigen Treiben zusehen. Auch dem Fritz und der Grete
machte ich mal im Wohnzimmer ihr Bett auf; aber die dummen Göhren
schliefen immer ein und wussten am andern Morgen nix vom Feuermännchen und
nix von Frau Grisegrau.
So lebten wir ein paar schöne Jahre zusammen; und wenn die Bratäpfel
in unserm alten Ofen schmorten und draußen der Sturm ging, erzählte
ich den Kindern neue Kunststücke von Feuermännchen und Grisegrau, und
sie guckten vergnügt ins Ofenloch und sahen das Teufelchen lustig flackern
und springen.
Doch nun kommt's traurig, Kinder, denn alles Schöne hat im Leben mal ein
Ende.
Eines Tages lag unser Mäuschen tot vor ihrem Loche. Ein fremder Kater
hatte sich hereingeschlichen und es erwischt. Ich verjagte ihn, aber ich kam zu
spät.
Ich blieb im Wohnzimmer, und als der Mond kam, sah ich unser Feuermännchen
klagend um die Leiche gehen. Zuletzt nahm er sie auf den rücken und ging
langsam den gewohnten Weg durch die Kachel.
Im Ofen war noch Glut, ich bückte mich, um hineinzusehen, da war er schon
mit seiner lieben Grisegrau mitten drin. Hellauf loderten die Flammen, die die
kleine Maus begraben sollten; ganz stille hockte das Feuermännchen daneben
und sah zu.
Mir war ganz traurig zumute, als ob mir was liebes gestorben wäre . . .
Bei uns im Hause wurde es auch still, seitdem Feuermännchen und Griesegrau
nicht mehr zusammen spielten. Der Fritz kam zu den Soldaten und die Grete wurde
Erzieherin weit weg in Ungarn.
Für mich allein mochte ich keine Bratäpfel mehr in den alten
Kachelofen legen, und auch das Feuermännchen habe ich seit jener Nacht
nicht wieder gesehen.
Paula Dehmel, 1862 - 1918 |
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