Lüttjemann und Lüttjerinchen
Hermann Löns
Es war einmal zwei Mooswichte, die lebten in einem alten Steinbruch.
Sie hatten ein einziges Kind, das nannten sie Lüttchemann, weil es noch
viel kleiner war, als die Kinder der Mooswichte sonst sind, so klein, dass es
in einer Wiege aus einer halben Walnussschale Platz hatte.
Die alten Mooswichte liebten ihren einzigen Sohn zärtlich; er bekam das
feinste Essen: Blumenhonig und Nusskernbrot und dazu Mondtau und herrliche
Spielsachen: goldene Käferflügel, silberne Libellenaugen, blitzende
Kristalle und funkelnde Steine.
Als er größer wurde und zu Verstand kam, ließen ihn seine
Eltern etwas Tüchtiges lernen: der Maulwurf lehrte ihn das Graben, der
Specht das Meißeln, die Maus das Hobeln, der Käfer das Bohren, die
Spinne das Weben, die Schnecke das Polieren, die Heuschrecke brachte ihm das
Fiedeln und die Mücke das Singen bei.
Als Lüttjemann so groß war, dass ihm der Bart wuchs, sagte sein
Vater zu ihm: "Du kannst alleine in der Welt fertig werden. Suche dir eine
Wohnung, richte sie dir hübsch ein, nimm dir eine Frau und sei
glücklich mit ihr, wie ich es mit deiner Mutter bin. Und damit dir
unterwegs niemand etwas tut, so hast du hier einen Spieß und Bogen und
Pfeile." Und er gab ihm einen Schlehdorn, einen Bogen aus einer
Fischgräte und Pfeile aus Wildschweinborsten mit giftigen Spitzen aus
Bienenstacheln.
Lüttjemanns Mutter weinte sehr, als sie das hörte, und wischte sich
mit ihrer Schürze, einem roten Mohnblatt, die Augen. sie küsste ihren
Sohn und sprach zu ihm: "Heirate kein Mädchen, das nicht dünn in
der Mitte, blau in den Augen und blond auf dem Kopf ist. Und hier hast du
allerlei auf die Reise mit." Und sie gab ihm eine Tasche aus
Spitzmausfell, darin war: eine Bucheckernflasche mit Bickbeerwein, eine Wurst
aus Schneckenfleisch, ein Brot aus Hirtentäschel.
Lüttjemann wollte auch erst weinen, dass er nun so allein in die Welt
hinaus musste, aber er dachte daran, dass er einen Bart, einen Spieß und
Pfeil und Bogen hatte, küsste seinen Vater und seine Mutter und ging
tapfer in die Welt hinaus.
Als er eine Weile gegangen war, wurde er hungrig und setzte sich unter ein
Klettenblatt, um zu frühstücken. Vorher aber rief er, wie es ihn
seine Eltern gelehrt hatten: "Ich hab für zwei Mann genug im Sack,
ist keiner da, der mithalten mag?"
Da schnurrte es über Lüttjemann, der Zaunkönig kam angeflogen,
machte einen tiefen Knix und sagte: "Ich esse auch nicht gern allein; ich
bin so frei und lade mich ein."
Sie aßen und tranken, und als der Zaunkönig satt war, bedankte er
sich schön und sprach: "Will man dir etwas tun, so rufe mich, ich
heiße Vogel Wunderlich." Lüttjemann ging weiter, und als er
wieder hungrig wurde, setzte er sich unter einen Fliegenpilz, knöpfte sein
Ränzlein auf und rief: "Ich habe für zwei Mann genug im Sack;
ist keiner da der mithalten mag?"
Da raschelte es neben ihm, und der Igel kam, bot Lüttjemann die Tageszeit
und sprach: "Ich esse auch nicht gern allein; ich bin so frei und lad mich
ein."
Sie aßen und tranken, und als der Igel satt war, bedankte er sich
schön und sprach: "Will man dir was tun, so rufe mich; ich bin das
Tierchen Pickedich."
Lüttjemann ging weiter, und als er wieder hungrig war, setzte er sich
unter einen Brombeerbusch und lud sich wieder Gesellschaft ein. Da kam der
Hirschkäfer, machte einen Diener und vesperte mit, und als er satt war,
bedankte er sich schön und sagte: "Will man dir was tun, so rufe mich
her; ich bin der Käfer Kneifesehr."
Lüttmann ging weiter und fand einen goldenen Laufkäfer auf dem
Rücken liegen; er half ihm auf die Beine, und da sagte der Käfer:
"Du halfest mir aus Not und Pein, dafür will ich dein Hund jetzt
sein" Und Lüttjemann freute sich darüber sehr und sprach:
"Blitzeblank, so nenn' ich dich, lauf voran und schütze mich!"
Da lief Blitzeblank vor ihm her und biss alles in die Beine, was den Weg nicht
freigeben wollte.
Gegen Abend kamen sie an einen Steinbruch. Da sahen sie drei
Glühwürmer, die leuchteten, und sechs Totengräber in schwarzen,
rotbesetzten Röckchen beerdigten eine Fledermaus. Lüttjemann half
ihnen dabei und lud sie nachher zum Abendbrot ein. Als die Totengräber
hörten, dass er ein Haus für sich suche, zeigten sie ihm die Wohnung
der Fledermaus, die jetzt leer stand.
Lüttjemann ging mit und sah sich die Wohnung an. Es war ein Loch in der
Felswand unter einem Glockenblumenbusch. Die Glühwürmer leuchteten,
und die Totengräber machten rein, und als alle der Kehricht heraus war,
den die alte faule Fledermaus hatte liegen lassen, da freute sich
Lüttjemann, denn die Decke war ganz aus blanken Kristallen und die
Wände aus dem schönsten Kalkstein.
Er machte zwei Lager, eins für sich und eins für Blitzeblank, und
schlief ruhig ein, denn er war von dem weiten Weg müde. Frisch und munter
wachte er am andern Morgen auf, wusch sich in einem großen Tautropfen,
kochte auf einem Feuer aus trockenen Tannennadeln ein Lerchenei, das
Blitzeblank herangeschleppt hatte, in einem Topf aus einer Schneckenschale,
frühstückte und richtete sich seine Wohnung ein, und weil er viel
freundlicher und gefälliger war, als die brummige Fledermaus, so halfen
ihm die kleinen Leute aus der Nachbarschaft.
die Spinne webte ihm Vorhänge, die Eule gab ihm Federn für das Bett,
das Eichhorn sorgte für Teller und Töpfe aus Nüssen und Eicheln,
Brennholz brachten die Ameisen, der Specht schaffte Leuchtholz herbei, damit
Lüttjemann abends Licht hatte, die Bienen lieferten Honig, der Eisvogel
Libellenflügel als Wandschmuck.
Als alles fertig war, sagte Lüttjemann: "Fix und fertig ist das Haus;
jetzt geh' ich und suche die Braut mir aus."
Jeden Tag ging er in die Nachbarschaft auf Brautschau, und jeden Abend kam er
allein nach Hause, denn er hatte keine Frau gefunden, die zu ihm passte. die
Unke war zu dick in der Mitte, das Goldhähnchen hatte schwarze Augen und
die Spitzmaus war zu schwarz auf dem Kopf. So kam der Herbst in das Land, und
Lüttjemann hatte immer noch keine Frau. Sein Häuschen war sauber und
gemütlich, Küche und Keller, Stall und Scheune waren voll, aber
Lüttjemann wurde immer trauriger, weil er so allein war, und spielte auf
seiner Fiedel, die er sich aus einem Mausekopf gemacht hatte, nur noch ganz
leise Lieder.
Als der Wind die roten Blätter von den Bäumen riss, kam eine kleine
Haselmaus und fragte Lüttjemann, ob sie nicht über den Winter neben
dem Herd schlafen dürfe, denn die Holzhauer hätten ihr Häuschen
in der Buche entzwei gemacht. Das erlaubte Lüttjemann ihr, und sie ging
hinter den Herd, rollte sich zusammen und schlief ein.
So wurde es Winter, und wenn Lüttjemann auch noch so traurig war über
sein Alleinsein, einen Weihnachtsbaum wollte er doch haben. Er ging mit seiner
Säge, einem scharfen Heuschreckenbein, in den Wald, wo die ganz kleinen
Tannenbäume stehen, suchte sich den schönsten aus, schnitt ihn ab,
setzte ihn in eine Kastanie und putzte ihn aus mit Lichtern aus Schneckentalg,
Flittergold von Schmetterlingsflügeln und Watteflöckchen von
Altweibersommer, und weil er am Weihnachtsabend nicht allein sein wollte, so
buk er tüchtig Kuchen für seine Gäste und machte dazu ein
großes Feuer, dass die Haselmaus warm und munter wurde.
Sie rieb sich die großen schwarzen Augen, strich sich ihren langen
Schnurrbart gerade, kämmte und putzte sich und sprach:
"Lüttjemann, sei mal still, weil ich dir was sagen will. Mir hat
geträumt in letzter Nacht, Christkind hätt' dir was gebracht. Mitten
dünn, oben gold, und die Augen blau und hold. Wo der Bach den Bogen macht,
es die Pustefrau bewacht."
Lüttjemann riss sein rotes Mützchen ab und schrie: "Hurra,
hurra, das stimmt genau; das passt ganz auf meine Frau."
Aber dann wurde er sehr traurig, denn die Pustefrau war ein Hexe, der jeder
gern aus dem Wege ging, denn, wen sie anpustete, der wurde steif und stumm.
Aber er dachte an seinen Spieß und Bogen und seine Pfeile und ging
geradewegs nach dem Bache.
Da saß die Pustefrau unter einer faulen Eichenwurzel, rieb vor
Boshaftigkeit ihre Spinnenfinger, zwinkerte mit den grünen Augen und rief:
"Lüttjemann, Lüttjemann, wer mich stört den pust' ich an.
Püttjerine deine Braut, schläft schon auf dem Farrenkraut."
Lüttjemann hatte große Angst, als er die Pustefrau so reden
hörte, als er aber das Püttjerinchen sah, die hinter der Hexe auf dem
Farrenbett lag und schlief, in der Mitte dünn, auf dem Kopfe blond und in
den Augen blau, da ging er tapfer auf die Alte los.
Die Hexe machte sich dick wie eine Kröte und pustete. Als sie das erstemal
pustete, lief es Lüttjemann kalt über den Rücken, aber er schoss
doch eine Pfeil ab. Die Hexe aber lachte böse, fing den Pfeil auf und
blies zum zweitenmal. Da lief es Lüttjemann kochend heiß über
den Rücken, aber er schwang seinen Speer und ging auf die Hexe los: Da
machte sie sich doppelt so dick wie vorher, und da dachte Lüttjemann an
den Zaunkönig und rief: "Kleiner Vogel Wunderlich, rette vor der Hexe
mich!" Da schnurrte es in der Luft, der Zaunkönig kam an, flog der
Pustefrau in das Gesicht. Aber wenn er dadurch auch Lüttjemann rettete, er
selber wurde von der Hexe angeblasen, und fiel steif und stumm in den Schnee.
Wieder blies die Hexe sich auf und da fiel Lüttjemann der Igel ein und er
rief: "Gutes Tierchen Pickedich, rette vor der Hexe mich!"
Da trappelte es im Schnee, der Igel kam an, rollte sich zusammen, kugelte sich
auf die Pustefrau und stach sie so, dass sie laut schrie. Aber auch ihn pustete
sie an, und steif und stumm lag er im Schnee.
Wieder blies die Hexe sich auf und wollte Lüttjemann anpusten, da dachte
er an den Hirschkäfer und schrie: "Starker Käfer Kneifesehr, ich
bin in Not, komm schleunigst her!"
Da krabbelte es in der faulen Eichenwurzel, unter der die Pustefrau saß,
Kneifesehr streckte seine Zange hervor, fasste die Hexe um den Hals und
würgte sie, dass sie blau im Gesicht wurde und das Pusten vergaß.
Und da sprang Lüttjemann hinzu, stieß ihr seinen Speer in das Herz
und warf das Scheusal in den Bach.
Da erwachte Püttjerinchen aus dem Zauberschlaf, richtete sich auf, strich
ihr seidenes Röckchen glatt, gab Lüttjemann einen Kuss und sprach:
"Püttjerinchen heiße ich, ich bin zart und püttjerig. Mein
Vater ist König im Wollgrasland, Flitterfroh ist er genannt, und meine
Mutter, die Königin, die nennen sie Frau Susewin."
Da lachte Lüttjemann und fragte sie, ob sie seine Frau sein wollte, und da
war Püttjerinchen zufrieden, und alle kleinen Leute im Walde kamen und
wünschten ihnen Glück und geleiteten sie mit Musik durch den Schnee
nach Lüttjemanns Haus; auch der Zaunkönig und der Igel, die wieder
aufgewacht waren, kamen mit.
Die Haselmaus lachte, als der fröhliche Zug ankam, deckte den Tisch,
braute einen Hagebuttenpunsch und steckte die Lichter an den Weihnachtsbaum an,
gerade als unten im Dorfe die Menschen auch die Lichter anzündeten.
Da ging es denn vergnügt her, Lüttjemann war froh, dass er eine Frau
hatte, und Püttjerinchen freute sich, dass sie einen so guten Mann
bekommen hatte.
Im Frühling feierten sie Hochzeit, wozu Lüttjemanns und
Püttjerinchens Eltern auch kamen, und als sie Kinder bekamen, nannten sie
den Jungen Lüttjepütt und das Mädchen Püttjelütt, und
wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie auch heute noch.
Hermann Löns, 1866 -
1914 |
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